Sandor Marai
nichts, wenn die Wanne gereinigt ist, es genügt, wenn auf dem Linoleum
feuchte Fußspuren zu sehen sind ... Wenn ich es nun mal nicht ertragen kann.«
Er lächelte
zaghaft, entschuldigend. »Wenn Du gestattest«, setzte er höflich fort, »ich
weiß, das sind keine Argumente ... Ich könnte auch sagen, daß das Leben nicht
zu ertragen ist, denn es gibt Krankheit, Tod, Krieg, Galgen, Kasernen, Elend,
Verrat ... Aber das ist alles so weit weg, meistens ... Wirklich nah, jeden
Tag, ist nur das ... Oder nicht viel mehr. Wie der Wassertropfen auf die Köpfe
chinesischer Gefangener, tropft Tag für Tag, Minute für Minute irgend etwas
auf dich ... Mit dem Streichholz, dem Feuerzeug, mit dem du dir den Daumen
rußig machst, mit den Hemdknöpfen, mit den Briefmarken, die du schief
aufgeklebt hast, und jetzt hast du das Gefühl, daß der ganze Brief nicht mehr
gilt ... Dann die Lügen, die dich durch Jahrzehnte begleiten ... Du hast einmal
jemand belogen,
du weißt gar nicht, warum, die Situation war danach, vielleicht wolltest du
klüger oder vornehmer erscheinen, oder einfach, um irgend etwas zu sagen.
Manchmal scheint mir, ich spreche gar nicht, und dann höre ich meine Stimme.
Schließlich holt dich die Lüge ein, es lebt irgendwo ein Mensch und weiß etwas
von dir, und wenn du später auch beweist, daß du im großen und ganzen doch von
gutem Willen geleitet warst und im Interesse deiner Mitmenschen gehandelt hast
– er lächelt nur überlegen, allein in seinem Zimmer ... Jeder hat so jemanden
... Sag, kann es nicht sein, daß für Dich dieser Jemand der Teufel ist ...?
Dieser andere, der sogar von Dir etwas weiß ...? Wozu ist er übrigens da ...?
Um uns Menschen in Versuchung zu führen, hätte man vielleicht gar keine so
große Apparatur wie die Hölle mit ihren Teufeln erfinden müssen, viel weniger
hätte auch gereicht ... Er sitzt in der Hölle und lächelt vor sich hin, weil er
etwas von Dir weiß ... Könnte das nicht sein ...? Verzeih, ich frage ja nur ...
Immer hat mich etwas gestört, manchmal blieb ich auf der Straße stehen und sah
mich um ... Ich habe immer Angst gehabt, es zu vergessen, auf einmal wird es
dunkel, ich bin taub und kann es mir nicht einmal mehr in Erinnerung rufen ...
In Erinnerung rufen, was denn nun ...? Aber das ist es ja gerade, hier fehlt
das Wort ... In jeder Sprache fehlt genau dieses eine Wort, es gibt nur
Umschreibungen, und selbst die weisesten Sprachen arbeiten nur mit Vergleichen.
Die Gegenstände, wenn Du erlaubst, sind nur so etwas wie Daumenschrauben ...
Man beachtet
es schon gar nicht mehr, wenn man anfängt, auf kleiner Flamme zu braten ...
Du, diese kleine Flamme ... Immer beim Aufwachen und Einschlafen, auch im
Traum, immer ... Dieser erstickende Rauch, der Geruch von versengtem Fleisch
... Es tut sehr weh ... Sag, warum spricht davon keiner ...? Niemals, niemand,
am Ende schrecken alle zurück ... Anscheinend ist es nicht möglich ... Sieh
mal, auch ich mußte hier auf diesen Berg hinauf, damit ich endlich mit Dir
allein sein konnte und zu fragen wage.«
Er
verstummte. »Weißt Du, es war so, ich habe immer an die Frauen gedacht«, sagte
er nach einer Weile schlicht. »Deswegen habe ich gelernt, deswegen bin ich
gereist, immer deswegen. Gar nicht mal an die Frauen, sondern an die Sache
selbst. Ich weiß nicht, was den Menschen die ganze Zeit im Kopf herumgeht, ist
ihnen tatsächlich die Elektrizität wichtig, oder das Erobern oder die Größe und
Würde des Reiches ... Oder machen sie das alles vielleicht nur, weil sie nicht
an die Liebe herankönnen ... Liebe, was für ein Wort ... Aber das weißt Du ja,
Du hast es ja erfunden ... Eine göttliche Erfindung, wirklich wahr ... Wie
schön muß es gewesen sein, als es wirklich noch darum ging ... Ich hatte nie
etwas anderes im Kopf ... Und ich argwöhne, daß auch alle anderen Menschen nur
das wollen, niemals etwas anderes, nur diesen Moment ... Wer etwas anderes
macht, ist mir suspekt ... Ich glaube, ein glücklicher Mensch beschäftigt sich
mit nichts sonst und ist auf keinen Fall bereit, ins Amt zu gehen,
oder zu politisieren ... Warum? Das sind wirklich nur Details ... Vierzig
Jahre lang hat mir niemand etwas angemerkt.«
Er
schüttelte den Kopf, mißbilligend und traurig. »Ja, ich gebe es zu, ich
habe alles nur deswegen gemacht. Ich habe das Beste gewollt, die klarste
Formulierung, ich wollte Deinen Text in die Sprache des Lebens übersetzen, so
wie Du ihn ursprünglich gemeint hast ... Leider, wie es aussieht,
Weitere Kostenlose Bücher