Sandor Marai
abzulegen,
doch es störte ihn ein wenig, daß er sie nicht wie gewohnt über die Sessellehne
hängen konnte; er beschloß, sich am Fuß des Felsens niederzulassen und die
Nacht hier auf der Lichtung zu verbringen, von wo aus er in der Lage war,
»alles gründlich in Augenschein zu nehmen«. Tatsächlich, eine Kopfbewegung
genügte, und er konnte die Küste und die Stadt überblicken, jenseits der Bucht
auf das offene Meer hinaussehen, das im Mondlicht über die Ufer zu treten
schien.
Unruhig und
geistesabwesend suchte er zwischen den Bäumen Haken und Kleiderbügel, die
Helligkeit des Mondes hätte zum Lesen ausgereicht. Der Felsen hatte ungefähr
die Maße eines Tisches; darauf breitete er den Inhalt seiner Taschen aus, die
er sorgfältig leerte, wie er es jeden Abend zu tun pflegte,
mit der zeremoniellen Umständlichkeit, mit der er sich gewöhnlich aus- und
ankleidete; zuerst räumte er die Jackentaschen aus, dann die Taschen seiner
Weste, schließlich die Gesäßtaschen und seitlichen Taschen der Hose. In der
scheinwerferartigen Beleuchtung traten die Umrisse der Gegenstände scharf
hervor. Er war überrascht, was für ein seltsamer Haufen sich auf der flachen
Oberseite des Felsens ansammelte; entgeistert und ungläubig betrachtete er die
vielen fremden Dinge, diese Menge von Utensilien und Gebrauchsgegenständen, als
sähe er sie zum ersten Mal. Zuerst, auf einen Ring gefädelt, die Schlüssel:
insgesamt acht Stück, Kofferschlüssel, der Schlüssel seiner alten Wohnung und
der des Professorenzimmers am Institut, die Schlüssel eines Bücher- und eines
Wäscheschranks und noch ein flacher Schlüssel, der ihm zwar bekannt vorkam, doch
er konnte sich nicht an die Tür erinnern, in deren Sicherheitsschloß er paßte.
Alle diese
Schlüssel sperrten etwas ein in der Welt, Gegenstände, Briefe – und jetzt
schien es, als hätten sie auch ihn selbst von der Welt abgeschlossen; er
starrte sie an wie ein Sträfling, der endlich den Schlüssel seines Kerkers in
den Händen hält. Etwas bewahren war eine Art der Sklaverei, und er bewahrte
nichts mehr, weder Personen noch Gegenstände, noch Geheimnisse ... Mit einer
verächtlichen Bewegung warf er die Schlüssel hin. Er zog zwei Brieftaschen
hervor, eine, in der sich Kleingeld befand, und eine andere, die mit Briefen,
Aufzeichnungen und einigen Banknoten prall gefüllt
war, und er fand auch noch ein Portemonnaie aus rotem Leder, das man ihm in dem
vornehmen Reisebüro zur Erinnerung in die Hand gedrückt hatte, darin verwahrte
er die Eisenbahnfahrkarte und seinen Reisepaß. Der Zigarrentasche seiner Jacke
entnahm er eine zerbrochene deutsche Zigarre, einige zerknitterte Zigaretten
sowie jene Hornbrille mit grünen Gläsern, die er vor kurzem am Strand einem
Händler abgekauft hatte und als Schutz vor der Sonne benutzte. Er nahm die goldumrandete
Brille von der Nase, klappte sie behutsam zusammen, suchte aus der Gesäßtasche
das Blechetui hervor, das er noch als Student für seine erste Brille erworben
und seither sorgsam gehütet hatte, gab die Brille hinein und legte es behutsam
neben die Schlüssel und die Brieftaschen.
Jetzt, wo
er dieses Blechetui zum letzten Mal in der Hand hielt, beschwor die bekannte
Form und vertraute Berührung für einen Moment die Eigentümlichkeiten und
Veränderungen, die die Laufbahn dieser bescheidenen gegenständlichen Existenz
aufzuweisen hatte: Bei der Herstellung wurde es mit violettem Samt
ausgekleidet, in den achtundzwanzig Jahren seines Dienens franste das Futter
aus und wurde schwarz, jetzt erinnerte er sich lebhaft an das dumpfe Klicken
des Deckels, der sich, als er neu war, elastisch, energisch schloß – er hörte
diesen kleinen knackenden Laut und sah Leipzig und das Geschäft des Optikers
neben der Konditorei – der Besitzer hieß Felsche ! –, und man hätte ihn
totschlagen können, er hätte sich achtundzwanzig
Jahre nicht an diesen Namen erinnert ... Später erlahmte, ermüdete die Feder,
die das Schließen des Etuideckels steuerte, und der Deckel öffnete sich weich,
ohne Widerstand – er war fast gerührt von diesem Schicksal, dem einfältigen
Lebensabend eines abgenutzten Gegenstands.
Des
weiteren fand er in der Jackentasche einen goldenen Bleistift und einen
Füllfederhalter, der immer nur Probleme gemacht hatte, die Feder blieb hart und
paßte sich nicht der Handschrift an, ließ seine Schriftzeichen fremd wirken, er
verwendete sie nur manchmal zum Unterschreiben ... Von dem Federhalter trennte
er sich ohne
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