Sandor Marai
Anna
kennenlernte, spielte ich den Dandy wie ein Hochstapler. Es reichte noch von
der Erbschaft des geisteskranken Onkels. Er starb zu Kriegsende, damals lebte
meine Mutter noch. Ich fuhr zu ihr und bat sie, mit mir zu kommen, mit mir zu
leben. Sie lehnte es ab. Da wollte ich ihr ein Haus im Dorf kaufen, Möbel
anschaffen. Sie jedoch nahm nichts an. Sie wollte weiter dienen. Keinen einzigen
Groschen nahm sie von mir. Ich konnte ihr Benehmen lange nicht verstehen.
Anfangs dachte ich, sie sei der Meinung, ich brauche alles Geld für meine
vornehme Laufbahn, und wollte es deshalb nicht anrühren. Dann vermutete ich,
sie verabscheue das Vermögen, weil es vom Onkel kam.
Es war beides falsch. Sie empfand keinen Widerwillen, sie raffte hastig alles
zusammen – seine Kleider, alte Lumpen, löchrige Töpfe –, mit jener emsigen
Habgier, mit der nur ganz arme Leute sich der Dinge erfreuen und jeden Fetzen
und jedes Stückchen Metall schätzen können. Sie wollte aber das Dorf nicht verlassen,
wollte kein Haus, sehnte sich nicht nach Sorglosigkeit, wünschte an ihrer Lage
nichts zu ändern. Sie wollte dienen! Sie klammerte sich an das elende Dasein,
das sie bis dahin geführt hatte. Warum? Aus Trotz? Aus Stumpfheit? Ich begriff
es anfangs nicht. Viel später, als ich als Arzt die Kranken nur noch ansah und
anhörte, ihre Krämpfe milderte oder ihre Schmerzen betäubte, aber doch schon
wußte, daß ich das, wovon sie krank geworden sind, mit keiner Sonde der Welt
erforschen kann ... jenes Unantastbare, die Dunkelkammer, in der der Mensch mit
seinem Schicksal allein bleibt und wohin kein Fremder Zutritt hat ... Als ich
erfuhr, daß es dieses Reich überhaupt gibt, da habe ich auch die Weigerung
meiner Mutter verstanden. Doch damals lebte sie nicht mehr. Meine Mutter wagte
nicht, sich aus dem dunklen Gang herauszurühren, in den das Leben sie gestellt
hatte. Alles war ihr verdächtig, die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß nur die
Armut verläßlich war – und daran glaubte sie, so wie ein anderer daran glaubt,
daß er Bannerherr ist. Ich mußte sie mit ihrem Geschick allein lassen.
Damals
wußte ich das alles noch nicht – doch wie fremd muß dies alles sein für dich!
Vielleicht weißt du es nicht – kannst es gar nicht wissen, daß man niemandem
helfen kann. Du siehst nur, daß ein Mensch, der dir lieb ist, sich ins
Verderben stürzt, gegen sein Interesse handelt, irrsinnig oder traurig sich
abquälend, sich schleppend, er ist schon am Ende seiner Kräfte, er bricht
zusammen ... Du eilst zu ihm, möchtest ihm helfen, und mußt plötzlich
erfahren, daß du es nicht vermagst. Bist du zu schwach? Bist du nicht gut
genug? Nicht aufrichtig genug? Nicht uneigennützig genug? Nicht leidenschaftlich
genug? Nicht demütig genug? Ja, wir sind niemals so, wie wir sein müßten ...
Man kann niemandem helfen, denn das ›Interesse‹ der Menschen besteht auch in
anderem, nicht nur in dem, was gut ist und vernünftig. Vielleicht brauchen sie
das Leid. Vielleicht brauchen sie das, was ihnen schadet. Ach, den Symptomen
kann geholfen werden, ich kann eine Arznei gegen Kopfschmerzen geben, aber ich
vermag mich dem, wovon sie Kopfschmerzen haben, nicht zu nähern. So war es mit
meiner Mutter. So war es mit Anna.« Und er beginnt wieder im Zimmer auf und ab
zu gehen.
14
»Ich spielte den Dandy, als ich sie
kennenlernte«, sagt er und lächelt. »Ich ließ meine Kleider bei einem guten
Schneider machen. Stell dir vor, ich ging in eine Tanzschule und lernte tanzen
... Eine Zeitlang lebte ich wie irgendein Salonlöwe. Ich wäre einer politischen
Partei beigetreten und hätte Reden gehalten, wenn Anna es gewünscht hätte. Sie
wünschte aber nichts. Sie duldete mich. Ich dachte eben, ich gefiele ihr
besser, wenn ich in meiner Haltung, meinem Benehmen, meinem Äußeren den andern
jungen Männern ihrer Kreise ähnlich war. Ich wußte lange nicht, wie sie
eigentlich über mich dachte. Hielt sie mich für ebenbürtig, oder sah sie in mir
einen sich aufdrängenden Fremdling? Anna war immer so sonderbar gelassen, als
träumte sie. Beim Ball, im Theater, in Gesellschaft – sie war zu jedem gleich
freundlich, höflich und bescheiden. Sie lächelte gern. Wenn man sie ansprach,
lächelte sie sehr zuvorkommend und sah unter halbgeschlossenen Lidern auf den
Sprecher – in das Nichts.
Viele machten ihr den Hof. Sie war
arm, hatte aber
keine Ahnung vom Geld. Ihr Vater sorgte für sie. Sie kleidete sich bei den
besten Schneiderinnen, sie lebten in einer
Weitere Kostenlose Bücher