Sandor Marai
eine Wiedergeburt,
so auch die meine. Nach einer Woche wurde ich zu einem anderen Menschen. Alles
Dunkel war aus meinem Leben genommen. Ich verdiente Geld, ich konnte mich aller
Dinge freuen, ich wagte es, glücklich zu sein. Das Trübe, das meine Kindheit
beschattet hatte, löste sich auf und schwand. Die Arbeit und der Verkehr mit
den Menschen wurden mir leicht, über Schwierigkeiten vermochte ich zu lachen.
So etwas merken auch die anderen. Die Leute wandten sich mir plötzlich zu. Ich
kannte Anna ungefähr drei Monate, als ich eines Tages feststellte, daß ich viel
Arbeit hatte, daß Menschen zu mir kamen – weiß Gott, woher sie meine Adresse
wußten –, ja, sie sitzen schon in meinem Sprechzimmer, nachts werde ich
geweckt und in entfernte Stadtteile gerufen, in einer beruflichen Sache sehe
ich plötzlich klar. Eigentlich keine große Sache, ein Zellenzählungsverfahren,
das die Diagnose erleichtert, es wurde nicht von mir erfunden, doch war der
Vorgang bis dahin schwierig und kostspielig, ohne Klinik und Laboratorium konnte
man ihn nicht anwenden ... Ich gebe nun die Gebrauchsanweisung und mache das
Experiment einfach und
populär. Es ist keine welterschütternde Entdeckung – aber ich habe plötzlich
Erfolg, man erwähnt meine Namen, man lädt mich zu Gesellschaften, man betraut
mich mit der Leitung einer Abteilung des Laboratoriums im städtischen
Krankenhaus. Solche Dinge geschehen immer so unvorhergesehen ...
Aber es ist Anna, die im Hintergrund
über allem steht, ihr Lächeln, ihr Atem, das Bewußtsein, daß ich sie am Abend
sehen oder am Nachmittag abholen darf. Nun werde ich plötzlich gewandt, sogar
leicht und flink, denn zum Erfolg genügt es nicht allein, tief und gründlich zu
sein ... Ich kenne das Leben und bin berechnend, ich kann jedermann nach
Gefallen reden, bestricke meine Vorgesetzten, halte gute Freundschaft mit meinen
Angestellten und mache mir jeden, der mir zur Erreichung meines Ziels nützlich
sein kann, zu meinem Spießgesellen.
Meine Ziele? Ich habe nur ein
einziges Ziel: Anna! Ich sitze in ihrem Zimmer und warte auf sie, sie ist nicht
daheim. Aber plötzlich fühle ich: Sie kommt, sie ist schon hier, sie eilt die
Treppe herauf – ich fühle ihre Schritte, sehe sie vor mir, weiß, welches Kleid
sie anhat, ich weiß alles ... Und es läutet – tatsächlich, es ist Anna, und sie
trägt auch dieses Kleid! Du könntest sagen: übersinnliche Fähigkeiten. Ja,
übersinnliche ... wie bei den Tieren. Ich fürchte dieses Wort nicht. Alle
begrabenen oder verschollenen Instinkte fangen in mir zu leben und zu blühen
an. Es fehlt an Geld? Ich gehe in die
Stadt, und schon ist Geld da, ich bringe es wie der Jagdhund die Beute. Titel,
gesellschaftliche Stellung? Nach drei Jahren werde ich Privatdozent. Braucht
sie einen neuen Pelz? Ich lege mich auf die Lauer wie ein lappländischer Jäger
und erlege mit präziser Waffe edle Tiere, deren Felle Anna tragen wird. Möchte
sie neue Perlen haben? Ich verschaffe sie ihr durch ein Verfahren, das
gefährlicher ist als das des Perlenfischers auf Ceylon, wenn er nach der
Muschel taucht. Verstehe mich – es gibt keine Unmöglichkeit, keine Gefahr,
keine Überlegung. Ich fühle mich nie überanstrengt, ich habe zu allem Zeit,
ich bin immer frisch und gesund. Der Tag hat vierundzwanzig Stunden, jeder Tag
ist eine winzige formvollendete Unendlichkeit! Die vierundzwanzig Stunden
reichen für alles.
Ich bilde mich weiter, ich versehe
den Dienst im Laboratorium, ich bin um sechs Uhr morgens bei einem Privatpatienten,
um neun reite ich mit Anna aus, ich versorge am späten Vormittag die Patienten
in der Praxis, mittags erwartet mich Anna beim Tapezierer, wir wählen die
Tapete, mit der die Wand ihres Schlafzimmers bespannt wird. Am Nachmittag
versuche ich eine schwerreiche hysterische Frau durch Hypnose zu kurieren,
ohne an wirklichen Erfolg zu glauben, doch ich behandle sie mit so viel
Überzeugung und Willenskraft, daß die Kranke sich während dieser Monate besser
fühlt, dem Morphium entsagt und sich erst ein paar Jahre später aus dem Fenster
stürzt. Ich empfange meine Kranken, bereite mich auf meinen Vortrag vor und
habe immer noch Zeit, mit meinem Buchhändler zu telefonieren, daß er an Anna
einige neue Bücher senden möge, Bücher, von denen ich hoffe, daß sie ihr etwas
über sie selbst verraten können, etwas, was ich nur unklar ahne und ihr nicht
zu sagen wage ...
Ich stehe mitten im Erfolg, manchmal
höre ich schon den Applaus, hätte Lust,
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