Sandor Marai
der Arzt nun, »more light and light it grows ...« Christoph stützt den Ellbogen auf
den Tisch. »Ja«, erwidert er, »woher weißt du es?« Der Arzt zuckt die Achseln.
»Sie hat es erzählt«, sagt er wie nebenbei. »Wann?« Er scheint nachzudenken. »Als
sie bei mir war. Einige Stunden bevor ... sich alles ereignete. Wir sprachen
sehr viel von dir damals.
Du hast
Anna nicht gekannt«, wiederholt er. »Lange Zeit kannte auch ich sie nicht. Und
überhaupt – jemanden zu kennen, was heißt das schon! Du bist nach Österreich
gefahren, gleich am Tag nach jener Begegnung auf der Insel. Hast du gewußt, daß
Irenes Vater, der alte Szávozdy, Anna auf Leben und Tod den Hof gemacht hat?
Alt – mein Gott. Damals dachte ich, er sei ein Greis. Ich war neunundzwanzig,
Anna einundzwanzig, Szávozdy war dreiundvierzig. Ein Mann von Welt. Typ des
Lebemanns – du hast ihn ja gesehen. Anna lachte ihn aus. Warte nur – in wenigen
Jahren werden wir auch so alt sein wie Szávozdy damals. Ich weiß, du bist ein
wenig jünger.
Jedenfalls ließ
der Abgeordnete jene Cellostimme hören, die junge Mädchen immer betört. Jene
theatralische Stimme, weißt du, den Ton der großen Leidenschaft des reifen
Mannes ... Er wollte sich scheiden lassen. Es kam aber nicht dazu. Nicht nur
meinetwegen. Doch war ich damals bereits in Annas Nähe wie die Luft, wie der
Schatten, wie die Nacht.
Ich war ein
junger Arzt und hatte wenig zu tun. Ich verfügte über eine kleine Erbschaft,
die gerade reichte, mir die nötigsten Instrumente zu beschaffen und während
eines oder zweier Jahre in der Gesellschaft zu verkehren. Sonst besaß ich
nichts. Ich wurde von einer holländischen Universität für ein Semester
eingeladen, ich schrieb über biologische Experimente in einer ausländischen
Zeitung, der Abgeordnete versprach, mir diesen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen.
Aber ich fuhr nicht! Ich konnte nicht mehr fahren. Anna war auch arm. Ihre
Armut aber war anders. Eine Armut, die sich auf ein fixes Einkommen stützte.
Meine Armut und die Welt, aus der ich kam, konnte ich nicht leugnen, sie war
sozusagen schäbig, in Lumpen gehüllt ...! Mein Großvater war noch Glasbläser
gewesen. Meine Mutter war Bäuerin, Tochter eines Feldarbeiters. Auch mein
Vater war Handwerker gewesen, er arbeitete dann in der Fabrik von Rózsahegy und
ging später nach Amerika. Eine Weile schrieb er noch, er schickte auch Geld –
später ließ er nicht mehr von sich hören. Wir konnten auch nicht erfahren, ob
er noch lebte oder schon tot war. Es gab eine Zeit, da ließ ich nach ihm forschen. Er blieb
verschollen. Ich erinnere mich nicht mehr an ihn. Die Kosten meines Studiums
nahm der Bruder meiner Mutter auf sich, ein reicher geiziger Bauer aus der
Gegend von Bártfa. Ihm danke ich auch die Erbschaft. Doch bis dahin ...
Erinnerst du dich an mich, damals, als ich noch in der dritten Bank saß? Ich
wohnte bei einem alten Gerber und schlief mit den Lehrburschen in der Küche. Hm
– ich will keine rührselige Geschichte erzählen! Diese Zeit jedenfalls blieb
mir sehr in Erinnerung. Der Onkel aus Bártfa nahm sich vor, mich studieren zu
lassen und einen Herrn aus mir zu machen. Während der Zeit, da ich zum Herrn
erzogen wurde, arbeitete meine Mutter auch weiterhin als Magd, der Onkel haßte
sie. Er verfolgte meine Mutter mit einem grundlosen atavistischen, finsteren
Haß.
Es kommt ja
manchmal vor, daß innerhalb einer Familie eine solch unterirdische, grundlose
Gehässigkeit lodert. Ich glaube, er ließ mich nur studieren, weil er dachte,
mich dadurch gänzlich meiner Mutter entziehen zu können. Er sandte mir Geld –
auf den Groschen genau berechnet, gerade genug, um nicht zu verhungern. Er
hatte Angst, ich könnte davon meiner Mutter geben. Sie arbeitete zeitlebens im
Dorf, in der Nachbarschaft des Onkels. Sie war eine ängstliche, traurige
blonde Frau.
Wenn ich in den Sommerferien nach
Hause fuhr, mußte ich bei meinem Onkel wohnen. Meiner Ankunft zu Ehren wurde
ein Schwein geschlachtet, wurden Hühner gekocht – doch mit wahnwitziger Sorge
achtete er darauf, daß ich davon nicht einen Bissen für die Mutter beiseite
gab. Einmal ertappte er mich, als ich mit einem kleinen Stück Kuchen in der
Tasche am Gartenrand herumschlich. Die Mutter war draußen bei der
Dreschmaschine, sie arbeitete im Taglohn und lebte als Dienstmagd bei fremden
Leuten. Der Alte vermutete, daß ich den Kuchen der Mutter bringen wollte, und
hob die Axt gegen mich, sein Kutscher warf sich dazwischen.
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