Sandor Marai
mich zu verneigen und für die
herzliche Aufmerksamkeit zu danken. In mir ist eine große Sicherheit, eine
schier unerklärliche, unsinnige Bereitschaft Tag und Nacht, beim Schlafen und
beim Wachen; Leib und Seele, meine Nerven und meine Muskeln sind in blinder
Bereitschaft wie die des Akrobaten, der zwischen zwei Trapezen den Todessprung
macht. Auch ich mache einen solchen Sprung und höre den Applaus aus der Tiefe
... Ob auch Anna diese Kraftentfaltung bemerkt? Oder nimmt sie alles einfach
bedenkenlos hin? Nein, nein – es ist doch eben sie, der ich alles zu verdanken
habe. Es entströmt ihr etwas, was meinen ungelenken Mechanismus geistvoll,
widerstandsfähig und begabt macht. Was war ich denn ohne sie? Imre Greiner, der
Sohn der slowakischen Dienstmagd und des Zipser Taglöhners, ein Mensch voller
Befürchtungen und mit geringen Fähigkeiten, heimgesucht von
Kindheitserinnerungen, die sich in seine Stunden drängten wie drohende
Gewitterwolken. Jetzt aber habe ich keine Angst mehr. Ich
bin mit Anna zusammen, ich lebe in Verzückung, als würde ich das Zauberwort
kennen ... ›Liebe‹ heißt dieses Zauberwort für mich!«
Er spricht dies rasch, als würde er
sich der Worte schämen. »In einer solchen Spannung kann man natürlich nicht
immer leben«, sagt er, sich entschuldigend, beinahe demütig. »Auch der Sänger
wird müde, seine Lunge ringt nach Atem – keiner kann fortwährend im hohen C
sagen: ›Bitte ein Glas Wasser‹ oder: ›Heute komme ich zu Mittag nicht heim.‹
Diese Müdigkeit aber darf Anna nicht merken. Es ist schon wunderbar genug, daß
sie alles duldet. Wahrscheinlich kann sie nicht anders. Nun wirkt eine Kraft in
mir, mit der ich Parteien organisieren und Volksmassen bewegen könnte, ja, ich
vermag sogar einen Menschen zu zwingen, meine Anwesenheit zu dulden, in seinem
Leben Platz zu machen für mich – und das ist vielleicht die schwierigste Leistung
–, Anna kann mir nicht mehr entgehen.
Anfangs ist sie noch unsicher und
ängstlich. Sie hat das etwas beunruhigende Gefühl, daß etwas mit ihr geschieht,
sie kann keine Entscheidungen mehr treffen, sie hat keine Wahl, sie steht unter
der Einwirkung fremder Kräfte, sie muß mich nehmen. Und es genügt nicht, mich
nur zu nehmen, sie muß sich auch ergeben – ich begnüge mich nicht mit einer
schwachen Zusage, ich unternehme einen Eroberungskrieg – dieses Unternehmen
bedeutet im Leben eines Menschen wahrlich das gleiche wie die Kriege
in der Geschichte der Völker! Nein, ich will nicht bloß die Beute haben, die
laue, wohlwollende Gunst einer Frau, die Anna Fazekas heißt, ich will auch ihre
durch die Zeit verdeckten Erinnerungen, alle ihre Gedanken, die Geheimnisse
ihrer Kindheit – ich will ihren Leib und ihre Seele, ich will auch die
Zusammensetzung ihrer Nervenzellen kennen. Ich freue mich, daß ich Arzt bin,
es ist mir, als könnte ich dadurch mehr über sie selbst erfahren! Ich freue
mich meiner anatomischen Kenntnisse, ich liebe nicht nur ihren Blick, ihre
Stimme und ihre Bewegungen, sondern den ganzen wundervollen Mechanismus – ihr
Herz und ihre Lunge, die Beschaffenheit ihrer Haut und ihren Atem ...
Du erschrickst? Ist es zuviel?
Genug? ... Ja, auch sie ist erschrocken. Begreife aber, hier geht es um Leben
und Tod! Ohne Anna gehe nicht nur ich, Imre Greiner, zugrunde, sondern auch
eine Kraft, die sich in mir und Anna – die sich in dieser Begegnung ausdrücken
will. Anna kommt mit mir – sie kann nicht anders! Bei dieser Temperatur
schmilzt alles ... alles? Damals glaubte ich das noch. Ich wußte noch nicht,
daß selbst in geschmolzenem Material etwas übrigbleibt, was unveräußerbarer
Privatbesitz – der einzig wahre Privatbesitz des Menschen überhaupt ist, der
durch keine Leidenschaften, durch keine noch so gewaltige äußere Kraft
aufgelöst werden kann – er läßt sich nicht zerstören und zerfetzen –
er bildet ein geschlossenes und einheitliches Ganzes. Tief innen, irgendwo
hinter dem Leib und der Seele ... Vielleicht ist er nur der Inhalt einer
Zellengruppe, vielleicht besteht er nur aus einigen Millionen Nervenzellen.
Später erst
versuche ich, solch fachgemäße Erklärungen für dieses Phänomen zu finden. Erklärungen
ändern aber die Natur der Erscheinung nicht. Vorläufig bin ich hochmütig und
verschwenderisch. Hochmütig, mein Gott ... Anna gegenüber bin ich natürlich
auch demütig ... Ich achte auf all ihre Bewegungen gleich dem Gelehrten, der
eine Hitze von tausend Grad entfacht und nun die
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