Sandor Marai
schließt, sich von mir wendet und in
die Gefilde der Nacht hinabsteigt. Ich halte nicht sehr viel von Traumdeutung,
doch Annas Träume sind mir unsäglich kostbar. Der Tag fängt für mich mit diesen
Träumen an. ›Träume sind Abenteuer‹, sagt Anna, und sie berichtet mir jeden
Morgen über ihre Abenteuer.
So leben
wir. Unser Leben ist sehr schön. Ich glaube, daß wir glücklich sind. Ich muß
später dann einmal erfahren, daß dieses Leben kein Leben ist – dieses Glück
ist sehr verdächtig und arglistig ... Hinter all diesen Jahren steht irgend
etwas. Ich sage dir, Anna ist so wachsam, als erwarte sie etwas! Aber wir
leben musterhaft, in vorbildlicher Ehe. Ich erzähle alles, sie hört alles an.
Die Fragen und Antworten folgen ohne Stockung. Nur manchmal – siehst du – werde
ich gewahr, daß Anna nicht antwortet.« Nun schweigt er lange. »Verstehst du
das?« fragt er dann, und seine Stimme klingt hinter der vorgehaltenen Hand so
hohl wie die eines Bauchredners. »Ja«, sagt Kömüves leise und bereitwillig.
»Ich glaube, ich verstehe.«
»Ich möchte dir alles erzählen«,
setzt er mit tiefer und fremder Stimme fort. »Anna kommt mir in
allem entgegen. Sie merkt, daß in meinen Wünschen und Vorstellungen irgendeine
spießbürgerliche Sehnsucht verborgen ist – solche Wünsche kommen aus der
Ferne, aus den himmlischen Phantasiegebilden der Kindheit. So ist mir zum
Beispiel das Heim sehr wichtig. Das ist ja auch verständlich. Junge Menschen
erfreuen sich ihrer Kraft und möchten auch zeigen, daß sie, einem Familienvater
gleich, die Macht haben, ein Heim aufzubauen.
Ich brauche
natürlich auch einen Salon, wenn ich ihn auch nicht mit echten und edlen Stilmöbeln
ausstatten kann, da es dazu nicht reicht; jedenfalls aber muß es ein Salon
sein, mich stört es auch nicht, wenn dieser Salon mit Makartstrauß und
Schaukelstuhl versehen ist. Anna weckt diese heimlichen, verschämten Wünsche,
und unsere Wohnung gleicht langsam der eines reichgewordenen Ofenfabrikanten
aus dem vorigen Jahrhundert. Ich kaufe stimmungsvolle Bilder und
silbernen Zierat, ich weiß, daß dies alles überflüssig ist, und ich habe mit
dieser gekünstelten
Dekoration wenig gemein, und doch ... Diese verachteten und verschämten Wünsche
leben in der Tiefe und stellen ihre Forderungen. Meine Mutter hatte keinen
Makartstrauß, und mein Vater saß nie in einem Schaukelstuhl. Anna fragt nie
nach meinen Eltern, weil sie weiß, daß ich ihr keine Antwort zu geben wage; sie
wartet den Augenblick ab, bis die vielen wunden, verwelkten, blinden
Erinnerungen sich von selbst melden.
Aber sie kommt mir zu Hilfe, tastet die wunden Stellen ab, beruhigt mich,
duldet den Schaukelstuhl und das altdeutsche Buffet. Ja, wir ›erdulden‹ die
Wohnung, wie sie nun einmal ist. Ich glaube, sie ist recht geschmacklos. Anna
erduldet vielerlei. Sie würde auch nicht protestieren, weißt du, wenn ich eines
Tages einen Kanarienvogel oder Goldfische heimbringen würde.
Sie ist geduldig. So lebt sie in der
Wohnung, als würde sie etwas erwarten, als wäre alles nicht so wichtig, was um
sie geschieht, denn eines Tages würde es sich schon herausstellen, warum dies
alles ertragen werden mußte. Bis dahin ist es schweigend hinzunehmen ... Faßte
sie es wirklich so auf? Sie nimmt doch so gefühlvoll und bereitwillig an
diesem Leben teil. Sie ist so geduldig, so gefügig ... Zuweilen gleicht sie
einer erstklassigen Hausangestellten.« Heiser sagt er dann: »Sie liebt mich
doch ... Man pflegt in einem solchen Fall zu sagen: ›auf ihre Weise‹. Ach, was
heißt es, jemanden zu lieben? Lange glaubte ich, es hieße, jemanden zu kennen,
vollkommen zu kennen! Jeden Reflex von des anderen Körper, jede Zuckung von des
anderen Seele. Das aber ist nur Theorie. Wie weit vermag man eigentlich jemanden
zu ›kennen‹? Bis wohin kann man einer fremden Seele folgen? Auch in den Traum?
Und dann? Die körperlichen Empfindungen kann man doch nicht teilen. Und wohin
geht der andere, wenn er die Augen schließt, mir gute Nacht sagt und
sich in den Schlaf zurückzieht? Denn es gibt eine zweite Welt, die außerhalb
der uns bekannten Vorstellungen liegt. Vielleicht ist diese wirklicher als
unsere an Raum und Zeit gebundenen Tage. Ich weiß nun schon lange, daß es ein
Gebiet gibt, das nur einem selbst gehört, jeder Mensch hat es für sich. Anna
kann sich auch in anderer Weise zurückziehen, auch tagsüber. Ich habe zuerst
schon davon gesprochen. Ich erzähle während des Mittagessens
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