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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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geräuschvollen, großstädtischen Straße.
Hier schien mir alles so ländlich wie in einer Provinzstadt ... Die Provinz
aber, und alles, was ›ländlich‹ ist, ruft in mir sofort eine Erinnerung wach
und fordert Rechenschaft.
    Anna liebte die Provinz, sie
gestand, oft Heimweh zu haben. Es gab auch eine Zeit, da bat sie mich, doch
mit ihr in eine Kleinstadt zu ziehen. Meine beruflichen Verhältnisse aber waren
gar nicht danach geschaffen, und so blieben wir in Buda. Eine Zeitlang hielt
ich meine Sprechstunden in Pest, konnte aber die Kosten nicht bestreiten. Und
dann: Tagsüber war ich fern von Anna. Ich ertrug diese Entfernung nicht. Ich
brauchte die Gewißheit, sie in meiner Nähe, zwei Zimmer weiter, zu wissen und
sie jeden Augenblick sehen zu können. Ja, mein Freund ... So begann es! Es gab
Jahre – die ersten vier unserer Ehe –, da konnte ich es nicht ertragen, sie
nicht stündlich zu sehen. Ich mußte wenigstens ihre Stimme hören, das Geräusch
ihrer Schritte, den Laut ihrer Bewegungen im Nebenzimmer. Ein Arzt würde hier
von ›absoluter Hörigkeit‹ sprechen. Das sind Worte, Krankheitsbilder, auf
Papier mit lila Tinte geschrieben ... Was heißt das: Hörigkeit? Ich wollte mit
Anna in einer Ehe leben –
nicht mehr und nicht weniger. Ich sehnte mich nach einer Ehe, wie sie in der
Bibel steht ... Ich stellte sie mir vor, wie die Schrift es uns lehrt: Die Frau
verläßt Vater und Mutter und folgt ihrem Gatten ... bis in den Tod ... über
alles hinweg.
    Ich
betrachtete die Ehe als Bindung, als die einzige, unlösliche Bindung zweier
Menschen. Was wäre sie sonst? Was wäre ihr Sinn? Darüber kann man gar nicht
diskutieren«, er sagt dies beinahe gereizt, als hätte der Richter
widersprochen. »Anna diskutierte auch nie darüber. Jetzt, da ich an diese
Zeiten zurückdenke, an diese ersten vier Jahre, möchte ich Anna sehen«, und er
verdeckt das Gesicht mit den Händen. »Ja, ich sehe sie«, sagt er langsam. »Sie
ist so aufmerksam ... Nein, ich kann es nicht erklären – es ist, als würde sie
etwas erwarten. Sie wendet sich mit einem so erwartungsvollen Lächeln mir zu,
ich möchte fast sagen, daß dieses Lächeln korrekt und höflich ist. Ja, und
auch neugierig. Ängstliche Neugierde, aufmerksame Zärtlichkeit, Geduld und
Wohlwollen ergaben zusammen Annas Haltung mir gegenüber.
    Und noch
etwas. Wie soll ich es dir nur sagen? Sie hat an allem Interesse, was mich betrifft,
ich muß ihr über alles berichten, über meine Arbeit, meine Wünsche, mein
Begehren, meine Abneigungen, auch was ich über sie denke, sie nimmt alles
entgegen, und ich weiß, meine Worte gehen nicht verloren, bei Anna sind alle meine
Gedanken in Sicherheit, sie lacht mich nicht aus, sie ist nicht überlegen, ach
nein ... natürlich nicht. Sie erwidert nur eben nichts auf all dies – oder:
ja, ja und nochmals ja! Sie antwortet fortwährend, sie antwortet schon!« Er
schreit dies hinaus, gequält und traurig. »Sicher, sie antwortet auf alle meine
Fragen, sie verheimlicht nichts, sie hat keinen Blick auf einen anderen Mann
oder eine andere Frau – denn du mußt wissen: Ich bin vom ersten Augenblick an
eifersüchtig. Ich verhehle das nicht – es wäre übermenschlich, ein Geheimnis
daraus zu machen.
    Oh, stell dir nicht irgendeine
triviale Eifersucht vor ... Schließlich aber liegt aller Eifersucht der gleiche
Trieb zugrunde ... Jedenfalls: Es gibt niemanden in unserer Nähe, auf den ich
eifersüchtig sein könnte, Anna hat keinen einzigen Bekannten, der sie
interessiert, sie ist nicht kokett, nie habe ich bei ihr nur einen einzigen
weiblich-selbstvergessenen Blick bemerkt, der einem Mann gegolten hätte ... Es
ist alles in Ordnung, spreche ich mir Mut zu ... Ich bin nur eben eifersüchtig.
Auf jeden, natürlich auch auf ihre Verwandten – sogar auf ihren Vater. Mir ist
jeder verdächtig. Wenn Anna auf der Straße ein Kind streichelt, nimmt doch
diese Liebkosung einen Teil aus ihrer Gefühlsreserve, der eigentlich mir
gehören sollte. Ich würde keine Freundinnen um sie dulden – sie hat aber keine.
Ich weiß, daß mein Zustand krankhaft ist. Ich spreche auch mit Anna über diese
Eifersucht, sie versteht – es stört sie auch nicht. Jeder, der liebt,
ist eifersüchtig. Wir sind auf alles eifersüchtig, was die geliebte Person
umgibt, vielleicht sind wir sogar auf ihren Tod eifersüchtig. Anna erzählt mir
morgens ihre Träume, weil ich auch die andere Welt kennenlernen muß, die in
den Augenblicken beginnt, da sie die Augen

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