Sandra und das Haus in den Hügeln
Sachen in den Schrank zurückzulegen.
Danach schloß Gefion Sandras Schrank zu. Sie zog den Schlüssel ab und brachte ihn dem Hausvater, der ihn wortlos in seine Hosentasche steckte.
Camilla hörte auf zu schluchzen und zu stöhnen.
Der Hausvater stand auf und wandte sich an den Schlafsaal: „Unsere Schwester Camilla darf ihr Fasten beenden. Der Herr hat ihr Opfer angenommen.“
„Halleluja!“ riefen die Sendbotenmädchen.
„Schlaft weiter, meine Kinder. Die Nacht ist kurz.“
Der Hausvater ging hinaus. Als er an Sandra vorbeikam, blieb er kurz stehen und blickte sie an, nachdenklich, durchdringend und streng. Sandra wagte nicht, ihre Forderung nach einem Arzt für Camilla zu wiederholen.
Das Licht wurde gelöscht.
Sandra lag in ihrem Bett und heulte vor Enttäuschung und Wut.
Sandras Verdacht bestätigt sich
Um vier Uhr früh wurden sie von Rocho geweckt, und Sandra ging die Bedeutung des hausväterlichen Hinweises auf, daß die Nacht kurz sei.
Um elf Uhr hatten sie die Schlafsäle aufgesucht. Um vier Uhr in der Frühe war ihre Nachtruhe beendet. Fünf Stunden Schlaf mußten ausreichen. Der Schlafentzug war vermutlich ein Teil des Programms der Sekte mit dem Ziel, die Jugendlichen körperlich und seelisch zu zermürben.
Mit halbgeschlossenen Augen und benommen vor Müdigkeit schlurften die Mädchen in die Waschräume. Zu mehr als einem flüchtigen Augenauswaschen und Mundausspülen schien keine von ihnen fähig zu sein.
In Sandras Schrank steckte der Schlüssel. Auch ihre Tasche hing wieder am Bettpfosten. Die Stiefel polterten mit Getöse auf den Fußboden, als Sandra schlaftrunken nach ihnen tastete.
Aus dem Nebenschrank, vor dem Debora sich ankleidete, fiel ein Wäschestück vor Sandras Füße. Sandra hob es auf und hielt es, ohne aufzublicken, mit hochgerecktem Arm Debora hin. Erst als Debora ihr das Teil regelrecht aus der Hand riß, wurde Sandra mißtrauisch. Sie richtete sich auf und spähte um die Türkante zu Debora hinüber.
Debora faltete das Wäschestück, das sich beim Herunterfallen entrollt hatte, hastig zusammen. Es handelte sich um eine Art Leibbinde. Sandras Buder Rainer trug ein ähnliches Modell zum Schutz seiner Nieren, wenn er Motorrad fuhr. Rainers Nierenschutz war allerdings aus schwarzem Kunstleder und nicht wie dieses hier aus einem wattierten und gepolsterten Baumwollmaterial gearbeitet.
„Hast du’s an den Nieren?“ fragte Sandra.
Debora fuhr herum. „Wieso?“
„Na, weil du so’n Ding trägst.“
„Was für ein Ding?“ erwiderte Debora barsch und stopfte den Leibschutz, oder was immer es darstellte, tief unter ihren Wäschestapel, als ob es sich um etwas Verbotenes handelte.
„Sandra!“ rief Rocho an der Tür. „Du bist zum Feuermachen eingeteilt. Bitte, besorge den Kachelofen im Versammlungsraum.“
Sandra eilte hinunter.
Der Versammlungsraum war kalt wie eine Gruft. Nebenan wirtschafteten ein paar Mädchen in der Küche. Sandra hörte sie durch die angelehnte Tür miteinander schwatzen. Eine sang. Um vier Uhr morgens!
Sandra lief zu einem Fenster. Sie fand es zugenagelt. Alle Fenster waren zugenagelt! Ein Gefängnis! sagte sich Sandra in Panik.
Schritte näherten sich in der Küche dem Versammlungsraum, und Sandra lief zum Kachelofen.
Es kam zwar niemand herein, doch Sandra beschloß, ihre Arbeit zu machen, um nicht aufzufallen.
Sie kniete sich vor den Kachelofen und begann die Schlacken auf dem Rost auszuräumen.
Irgend etwas sperrte, als sie den Rost mit dem Schüreisen rüttelte. Sandra schob den Ärmel ihres Pullis hoch und steckte fluchend die Hand in die rußige Feueröffnung. Ein Metallstück hatte sich im Rost festgeklemmt. Sandra zog und zerrte. Endlich fiel das Metall klirrend in den Aschenkasten.
Sandra zog den Kasten heraus, um ihn in den Müllcontainer zu entleeren. Sie hoffte, daß es ihr erlaubt sein würde, ihn selbst aufzusuchen. Das würde ihr ermöglichen, sich draußen umzusehen — und vielleicht sogar im Schutze der Dunkelheit zu verschwinden.
Obenauf lag das Stück Metall, das sie herausgezogen hatte. Sandra schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick — als sie plötzlich stutzte.
Sie nahm das Metall heraus. Es handelte sich um eine Plakette. Sandra feuchtete einen Finger mit Spucke an und wischte die Plakette ab. Sie fühlte ihr Herz heftig schlagen von dem Schock: Sie hielt ein Pfadfinder-Emblem in der Hand! Die grüne Farbe war von der Hitze abgeschmolzen, doch die Gravierung zeichnete sich deutlich auf dem Metall
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