Sandra und die Stimme der Fremden
Katzen-Marie unterwegs.
Richard Arnold besaß eine Bauschreinerei in der Innenstadt.
Florian Seibold hatte seine Adresse aus dem Branchenverzeichnis des Telefonbuches herausgesucht.
Dennoch schritt er mehrmals an dem Haus vorbei, bevor er das kleine verbeulte Firmenblechschild entdeckte, das an der Seitenmauer der Toreinfahrt zum Hinterhof wies.
Eine verwitterte Eichentür führte in ein dunkles Büro.
Richard Arnold schien nicht in besten Verhältnissen zu leben.
Florian Seibold fragte die ältliche Bürokraft nach dem Firmeninhaber.
„Der Chef ist auf der Baustelle“, wurde ihm erklärt.
„Kann ich dann, bitte, Frau Arnold sprechen? Oder wohnt die Familie nicht hier?“
„Doch. Im Vorderhaus. Aber Frau Arnold ist zur Bank unterwegs. Um was handelt es sich denn?“ wollte die Büroangestellte wissen.
„Ja, ich...“ Florian Seibold kratzte mit der Rechten seine Stirnglatze. Mit der Linken hielt er Susi auf dem Arm. „Ich komme in einer Privatangelegenheit“, erklärte er schließlich.
„Ich habe schon bei dem alten Herrn Arnold gearbeitet und bin seit vierzig Jahren im Betrieb. Der Chef und die Chefin haben keine Geheimnisse vor mir“, sagte die Angestellte herablassend.
„Ja, wenn das so ist!“ Florian Seibold lächelte erfreut. Er deutete auf einen Stuhl. „Darf ich mich setzen?“
„Bitte sehr. Aber Ihren Hund halten Sie bitte fest“, forderte die Dame streng.
„Danke.“ Florian Seibold setzte sich und hielt Susi, die zum Fußboden strebte, mit energischem Griff auf seinem Schoß.
Susi blickte ihren Herrn vorwurfsvoll an. Als sie sah, daß er nicht bereit war, nachzugeben, streckte sie sich mit einem Seufzer auf seinen Knien aus und schloß beleidigt die Augen.
„Ich komme wegen Frau Marie-Loise Arnold, der Tante Ihres Chefs“, begann Florian Seibold, als sich die hinter ihm befindliche Eingangstür öffnete.
„Hat sie endlich der Schlag getroffen?“ dröhnte eine dunkle Stimme in seinem Rücken.
Herr Seibold hielt den knurrenden Dackel fest und drehte sich halb in seinem Stuhl um.
Der Firmenchef Richard Arnold, groß, massig und mit einem eisengrauen Kopf, war ins Büro gekommen.
Florian Seibold wollte aufstehen, doch Herr Arnold bat ihn mit einer Handbewegung sitzen zu bleiben. „Kennen wir uns nicht?“ fragte er.
„Florian Seibold. Ich bin der Nachbar Ihrer Tante“, stellte er sich vor.
„Der Anwalt, stimmt’s?“ dröhnte Herr Arnold. „Und Sie haben Ärger mit meiner Tante. Deshalb sind Sie hier, richtig?“
„Nein, nein! Wie kommen Sie darauf? Ihre Tante befindet sich in Schwierigkeiten, deshalb...“
Herr Arnold ließ ihn nicht ausreden. „So, so, in Schwierigkeiten?“ fragte er und hob dabei die buschigen Augenbrauen.
„Ja, die Sache ist... Es klingt zunächst vielleicht seltsam... Ihre Tante erhält Warenlieferungen, die sie nicht bestellt hat.“
„Und weshalb nimmt sie sie an?“
Florian Seibold blickte verdutzt. Woher wußte der Mann das?
„Und nun kann sie die Waren nicht bezahlen, nicht wahr? Hat sie wirklich geglaubt, damit durchzukommen? Dann steht es schlimm mit ihr“, sagte Richard Arnold kopfschüttelnd.
Florian Seibold blickte den Mann scharf an. „Wie meinen Sie das?“
„Ach Gott, der Zustand meiner Tante ist uns doch seit langem bekannt. Sie ist alt und geistig verwirrt. Nehmen Sie nur ihr krankhaftes Interesse an diesen obdachlosen, räudigen Hunden und Katzen, mit deren Betreuung sie sich gesundheitlich und finanziell ruiniert. Ihre Menschenfeindlichkeit, die Sturheit, mit der sie jede Hilfe ablehnt“, zählte der Mann auf und fügte hinzu: „Einmal mußte der totale Zusammenbruch ja kommen.“
Die Büroangestellte hüstelte verlegen.
„Woher wissen Sie das alles?“ fragte Florian Seibold beeindruckt.
„Sie ist schließlich die Frau meines verstorbenen Onkels“, erwiderte Richard Arnold.
„Mit der Sie aber seit Jahren keinen Kontakt mehr haben“, erinnerte Florian Seibold.
„Das ist nicht meine Schuld. Erst vor wenigen Wochen rief meine Frau sie an, um sie zum Mittagessen einzuladen. Aber sie lehnte ab“, beteuerte Richard Arnold.
„Ich dachte, Sie hätten mal einen Prozeß gegen sie geführt?“ bemerkte Florian Seibold beiläufig.
„Und verloren!“ gab Richard Arnold freimütig zu. Er lachte dröhnend. „Aber das trage ich dem alten Frauchen nicht nach. Ich bin froh, Dr. Seibold...“
„Nur Seibold, bitte“, berichtigte ihn Florian Seibold bescheiden. „Mein Sohn hat promoviert, ich
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