Sandra und die Stimme der Fremden
Joschi blickten vor Überraschung dumm.
„Wo ist denn hier ein Züchter?“ fragte Sandra.
„Beim Ruderclub.“
„Wo bleiben Sie denn, Monika?“ meldete sich die Chefin erneut.
„Ich habe Kundschaft!“ gab Monika zurück und verzog das Gesicht, während sie Sandra und Joschi zuflüsterte: „Jetzt krieg ich eins auf den Deckel, weil ich euch gehen lasse, ohne daß ihr was gekauft habt.“
„Sag ihr, wir suchten einen Hund, und den habt ihr ja nicht“, tröstete Joschi.
Das Mädchen zog eine Grimasse und drängte sie zur Tür. „Ich werde mich hüten. Dann fängt sie vielleicht noch eine Hundezucht an.“
„Tschüs“, sagte Sandra.
„Viel Erfolg!“ rief das Mädchen ihnen nach.
*
Das Bootshaus des Ruderclubs lag unterhalb der Schiffseinfahrt zum Hafen.
Die schweren Eisenfalltüren in der grauen Betonmauer, hinter der die Boote lagerten, waren heruntergelassen.
„Privatgelände — Durchgang für Unbefugte verboten“, stand auf einem Blechschild an der Eisengittertür vor einer Steintreppe, die zum Clubhaus hinaufführte.
„Mensch, jetzt müssen wir den ganzen Weg zur Föhren-Allee zurückgehen“, sagte Sandra zu Joschi.
Joschi drückte die Türklinke hinunter. „Ist offen. Komm, wir sehen uns oben mal um. Wenn wir angehalten werden, behaupten wir einfach, wir suchten jemand vom Ruderclub.“
Sie stiegen die hohe Treppe hinauf. Sie führte auf eine kiesbestreute Terrasse, auf der die Clubmitglieder sich bei gutem Wetter aufzuhalten schienen. Jetzt war die Terrasse leer.
Ein Seitenweg führte am Clubhaus vorbei. Er war auf der linken Seite von einer Wildnis aus Sträuchern und Bäumen begrenzt. Hinter dieser Wildnis hörten sie Hunde kläffen.
„Wir hätten doch von der Straße aus hereinkommen müssen“, sagte Sandra und spähte vergeblich nach einem Eingang zum Nachbargrundstück.
„Abwarten“, empfahl Joschi.
Tatsächlich entdeckten sie etwa zwanzig Meter weiter eine Tür in einem Lattenzaun. Hinter dem Zaun war ein schmaler Garten sichtbar, der zu einem Hof und einem Haus führte.
Ein Mann schichtete Kompost unter einem Baum auf.
„Hallo, kann man hier rein?“ rief Joschi ihm zu.
Der Mann drehte sich um, und Sandra und Joschi sahen, daß der Mann in dem blauen Arbeitsanzug, den Gummistiefeln und der Schiffermütze kein Mann, sondern ein junges Mädchen war.
„Was wollt ihr?“ rief das Mädchen.
„Zu dem Hundezüchter. Wir möchten einen Hund kaufen. Machst du mal auf?“ rief Sandra.
Das Mädchen warf den Dreizinker auf die Schubkarre. Sie kam zur Tür, drehte den Schlüssel um und ließ Sandra und Joschi herein. Aus der Nähe wirkte sie etwas älter. Sandra schätzte sie auf Mitte zwanzig. Trotzdem beschloß Sandra, bei dem unter Jugendlichen üblichen „Du“ zu bleiben. Es wirkte familiärer und förderte eher ein vertrauliches Gespräch.
„Hast dich toll verkleidet. Wir hielten dich für einen Mann“, sagte Sandra lachend.
Das Mädchen lachte. „Wenn ihr einen Hund kauft, werdet ihr schnell genug darauf kommen, daß eure hellen Sachen keine Chance haben.“ Offenbar spielte sie auf Sandras weißes T-shirt und ihre weißen Jeans an. „Es sei denn, ihr haltet den Hund ständig im Haus und tragt ihn über jede Pfütze. Aber das wäre gemein. Ein Hund braucht Auslauf. Wenn ihr in einer engen Stadtwohnung lebt, dann kauft euch besser einen Zwergpudel. Meine Hunde sind Jagdhunde, die darf man nicht einsperren oder gar an die Kette legen“, fügte sie aggressiv hinzu.
„Sind Sie der Züchter?“ fragte Joschi verdutzt.
„Ja. Nein! Der Zwinger gehört meiner Tante, aber hauptsächlich bin ich dafür verantwortlich. Ich betreue die Hunde“, sagte das Mädchen. Sie schloß die Tür hinter Sandra und Joschi und drehte den Schlüssel wieder um.
„Kommt mit. Ich zeige sie euch“, sagte sie und führte Sandra und Joschi durch den Garten zu der kläffenden Meute.
Schilder mit klingenden Namen hingen über den Zwingertüren. Da gab es einen „Edlen zu Wolfsburg“, eine „Lady vom Eichwald“, eine „Felizitas von der Burg Traunstein…“
In einem Zwinger sprangen kraushaarige, wie Schäfchen aussehende Bedlingtonterrier umher. In einem anderen säugte eine Basset-Hündin ihren Nachwuchs. Und in dem nächsten balgten sich schwarzgolden gefleckte Airedaleterrier.
Sandra hockte sich vor den „Schäfchen“-Zwinger und streckte ihren Zeigefinger durch den Maschendraht. Einer der Welpen kam herbei, schnupperte begierig und begann an Sandras Finger zu
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