Sandra und die Stimme der Fremden
seit langem bekannt. Da kann eine plötzliche Aufregung schon mal zu einem Kollaps führen. Achten Sie darauf, daß er im Bett bleibt. Und halten Sie jede Aufregung von ihm fern. Sein Blutdruck war noch nie so hoch. Aber das kriegen wir wieder hin“, fügte er beruhigend hinzu.
„Der Giftanschlag auf Susi hat ihm sehr zugesetzt. Aber wie kann ich ihn bloß davon abhalten aufzustehen, eigensinnig wie er ist. Er kümmert sich nämlich um unsere Nachbarin, die mit anonymen Warenlieferungen nicht fertig wird. Vermutlich besteht da ein Zusammenhang.“
„Sorgen Sie dafür, daß er die Angelegenheit schleunigst an seinen Sohn oder an die Kripo abgibt“, riet ihr der Arzt.
„Ich denke, ich verständige Herrn Kresser vom Morddezernat, mit dem er befreundet ist. In der Anwaltskanzlei befindet sich im Augenblick nur die Referendarin. Dr. Seibold macht mit seiner Familie Urlaub in Griechenland. Ich möchte ihn nicht zurückrufen, es sei denn, daß er am Krankenbett seines Vaters benötigt wird.“
„Nein, nein, beunruhigen Sie ihn nicht. Es genügt, wenn Sie Kresser einweihen.“
„Vielen Dank, Herr Doktor“, sagte Frau Ansbach erleichtert.
Die Rechnung geht nicht auF
Florian Seibold durchschlief die Nacht tief und fest, während Frau Ansbach vor Sorge, der Hausherr könnte ihre Hilfe brauchen, nicht zu Bett zu gehen wagte und im Kaminsessel Krankenwache hielt.
Am Morgen schreckte sie durch Susis Bellen und das anhaltende Schrillen der Haustürklingel auf. Sie hatte das Gefühl, keine zehn Minuten geschlafen zu haben.
Dann sah sie, daß das Feuer im Kamin erloschen und der Holzstoß heruntergebrannt war. Die Asche lag kalt auf dem Rost.
„Frau Ansbach...!“ rief Herr Seibold aus dem Schlafzimmer, dessen Tür einen Spalt breit offen stand.
„Ich mache ja schon auf!“ rief Frau Ansbach zurück. Sie rieb ihre erstarrten Beine, um die Blutzirkulation anzuregen, stand auf und preßte ihre Fäuste in den von der nächtlichen Kälte und vom langen Sitzen schmerzenden Rücken.
Die Standuhr zeigte zehn Minuten nach acht.
„Herrschaften — schon so spät!“ stellte sie erschrocken fest und lief, um die Haustür zu öffnen.
„Entschuldigen Sie, Herr Doktor“, sagte sie zu dem eintretenden Arzt. „Ich habe kaum geschlafen...“
„Hatte er eine schlechte Nacht? Weshalb haben Sie mich nicht verständigt?“ sagte Dr. Neffgen.
„Nein, nein, ich glaube, Herrn Seibold geht’s gut. Ich bin nur vorsichtshalber in seiner Nähe geblieben.“
„Frau Ansbach, wer ist es...? Kann ich endlich mein Frühstück bekommen“, ertönte in diesem Augenblick lautstark und ungeduldig die Stimme des Patienten.
Dr. Neffgen lächelte. „Sie haben sich anscheinend umsonst um Ihren Schlaf gebracht.“
Sie sagen es! dachte Frau Ansbach und ging hinauf, um sich unter der heißen Dusche aufzuwärmen.
Dr. Neffgen war mit dem Ergebnis seiner Untersuchung zufrieden. Er bestand jedoch darauf, daß der Patient weiterhin im Bett blieb und jede Anstrengung vermied.
„Wichtigtuer!“ knurrte Florian Seibold, nachdem der Arzt gegangen war. „Bringen Sie mir die Morgenzeitung, Frau Ansbach. Und holen Sie bitte das Radio aus meinem Arbeitszimmer. Ich möchte die Nachrichten hören.“
„Sie regen sich ja doch bloß über jede unangenehme Meldung auf. Denken Sie an Ihren Blutdruck“, warnte Frau Ansbach.
„Tun Sie’s — oder muß ich mich selbst bemühen?“ Herr Seibold schickte sich an aufzustehen.
„Bleiben Sie liegen! Mein Gott, mit Ihnen hat man aber auch nur Ärger. Ich bring’s Ihnen ja“, schimpfte Frau Ansbach.
Sie sah schlimme Tage auf sich zukommen. Das wußte sie von Herrn Seibolds früheren Krankenlagern her. Einen so anspruchsvollen Patienten wie ihn gab es gewiß auf der ganzen Welt nicht mehr. Seine Ungeduld und Reizbarkeit konnten eine ganze Klinikstation demoralisieren.
„Wann kommt mein Freund Kresser?“ erkundigte sich Herr Seibold.
Frau Ansbach ließ vor Schreck fast das Radio fallen.
Der Hausherr kicherte schadenfroh, als er ihre Bestürzung sah.
„Sie dachten wohl, ich hätte nicht gehört, was Sie gestern abend vor meinem Schlafzimmer mit Neffgen flüsterten? Ich mag zwar eine Brille zum Lesen brauchen, vergeßlich sein und Ihnen auch sonst manchmal vertrottelt erscheinen, aber mein Gehör ist intakt. — Also, wann will er hier sein?“
„Überhaupt nicht“, erwiderte Frau Ansbach. Sie räumte den Nachttisch ab und schloß das Radio an.
„Er kommt nicht?“ fragte Herr Seibold
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