Sandra und die Stimme der Fremden
Hackfleischbällchen, die in einen Stachelbeerstrauch gefallen waren, als der Täter sie über die Pforte warf.
Florian Seibold sammelte das Fleisch in einen Beutel und übergab es am nächsten Morgen dem Tierarzt, als dieser Susis Zustand kontrollierte.
Die Laboruntersuchung ergab, daß das Fleisch ein giftiges Pflanzenschutzmittel enthielt, dessen Genuß bei Mensch und Tier schwere Leberschäden hervorruft und in entsprechend hoher Dosierung tödlich ist.
Daraufhin hielt Herr Seibold es für geraten, Frau Arnold über den wahren Sachverhalt aufzuklären. Er bat sie, Vorsorge zu treffen, um zu verhindern, daß ihre Tiere einem neuen Anschlag zum Opfer fielen, falls der Täter herausfand, daß sein erster Anschlag mißglückt war.
Die Katzen-Marie war empört. Doch sie befolgte Herrn Seibolds Rat, ihre Hunde und Katzen bei Anbruch der Dunkelheit in den Schuppen zu sperren.
Susi erholte sich langsam.
Florian Seibold wich nicht von ihrer Seite. Da Susi nur wenig fressen wollte oder konnte, und kraftlos und schnell ermüdend umhertappte, verzichtete er in den ersten beiden Tagen sogar auf seine gewohnten Abendspaziergänge.
Schließlich schickte Frau Ansbach ihn energisch hinaus.
Es fiel Florian Seibold schwer, Susi nicht bei sich zu haben.
Während er am dunklen Fluß entlang schritt, fühlte er sich einsam wie nie zuvor in seinem Leben.
Geräusche erschreckten ihn, die er früher nie beachtet hatte: Ratten raschelten im hohen Gestrüpp der Uferböschung, Käuzchen schrien, Grillen zirpten, Fische sprangen auf und fielen klatschend ins Wasser zurück.
Ohne Susis Gesellschaft, die ihn ablenkte, und mit der er sich wie mit einem Freund unterhielt, wirkten diese Eindrücke gespenstisch, obwohl Florian Seibold sich nicht für einen Mann mit schwachen Nerven hielt. Ihm fiel ein, was alles in letzter Zeit so passierte. Immer wieder las man von Überfällen auf friedliche Passanten, die ausgeraubt oder grundlos zusammengeschlagen worden waren.
Zwar hätte Susi ihren Herrn nicht beschützen können, da sie selbst alt und schreckhaft war. Wenn es donnerte, zitterte sie wie Espenlaub, und beim Silvesterfeuerwerk benahm sie sich geradezu hysterisch. Doch auf ihren Spaziergängen wirkte sie mutig, und ihr lautes drohendes Kläffen beim Herannahen eines Fremden dokumentierte eine Angriffslust, die sie in Wahrheit nicht besaß.
Mochte ein abendlicher Spaziergang noch so gesundheitsfördernd sein — Florian Seibold sehnte sich plötzlich nach der behaglichen Wärme des Kaminfeuers, nach dem weichen Lammfell unter seinen Füßen und nach dem tiefen Ohrensessel, in dem es sich so gut ausruhen ließ. Vor allem aber freute er sich auf Susi, die ihn gewiß voller Ungeduld zurückerwartete.
Er schritt schneller aus, rannte fast, vergaß die dunklen Gartennischen und hörte nicht mehr die seltsamen Geräusche der Nacht.
So entging ihm auch die Gestalt, die sich in seinem Rücken aus dem Schatten eines mit Büschen gesäumten Pfades zwischen zwei Grundstücken löste und ihn ansprang.
Er empfand kaum den Schlag. Er spürte nur, daß ein Feuerwerk in seinem Kopf explodierte und daß der Boden unter ihm nachgab.
Irgend etwas geschah mit ihm.
Seine Beine baumelten im rhythmischen Schwingen einer ihm fremden Gangart, wobei sie in unangenehmer Weise an einen sich mit ihm bewegenden Gegenstand stießen. Sein Oberkörper befand sich in einer ebensolchen ungewohnten und unbequemen Lage. Sie preßte seinen Brustkorb zusammen und trieb ihm das Blut in den Kopf.
Florian Seibold öffnete die Augen, sah im Schein einer Taschenlampe ein paar klobige Männerschuhe und erkannte, daß er wie ein Sack voll Getreide über der Schulter eines Mannes hing.
„Lassen Sie mich los! Was machen Sie mit mir?“ sagte er. Es sollte empört klingen, doch er hörte seine eigene Stimme wie aus weiter Ferne.
Genauso schwach vernahm er die Antwort des Fremden: „Wieder okay, Opa?“
Er glitt zu Boden. Doch hätte der Fremde ihn nicht aufgefangen, wäre er gestürzt.
Florian Seibold lehnte sich an eine Gartenmauer. Er versuchte sich zu sammeln, sich zu erinnern, gegen die Benommenheit anzukämpfen und gegen den Schmerz, der seinen Kopf zu sprengen drohte.
„Ihnen ist wohl schlecht geworden? Wo sind Sie denn zu Hause?“ fragte der Fremde.
„Da vorne.“ Florian Seibold deutete mit einer kraftlosen Handbewegung ins Unbestimmte.
Der Fremde hielt die Lichter des Hafens für das angegebene Ziel. „Auf welchem Schiff, Opa?“ fragte er.
„Kein
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