Sanft wie der Abendwind
abgesehen von einer Armbanduhr, ihr einziger Schmuck, sie trug einen schlichten, knielangen Jeansrock, dazu eine kurzärmelige weiße Bluse und flache Sandaletten. Ihre Beine waren auffallend lang und wohlgeformt, die Haut war leicht gebräunt, die rosa lackierten Zehennägel erinnerten, wie Sebastian fand, an kleine Muscheln.
Hugo würde von Lily Talbot begeistert sein und sie sofort als Familienmitglied akzeptieren, ohne lang nach den Beweggründen zu fragen, warum sie so plötzlich Kontakt zu ihm suchte. Ihre Mutter hatte Hugo im Stich gelassen und beinah ruiniert. Er, Sebastian, sah es als seine Pflicht an, zu verhindern, dass Lily es erneut versuchte.
Sie bemerkte nicht, wie intensiv er sie beobachtete, sondern studierte weiterhin die Speisekarte, einen Finger an die Lippen gelegt.
„Um Himmels willen, ich will nicht die ganze Nacht hier verbringen“, sagte Sebastian schroff. „Entscheiden Sie sich doch endlich, was Sie essen möchten!“
„Ich lese nun mal gern Speisekarten“, erwiderte Lily und warf ihm einen gekränkten Blick zu.
„Dann lesen Sie offensichtlich sehr langsam. Ich könnte in der halben Zeit das Ding auswendig lernen.“
„Ich bin aber nicht wie Sie, Sebastian!“
Natürlich nicht! Sie war in jeder Hinsicht ausgesprochen feminin, und dass er sich ihrer äußeren Vorzüge überdeutlich bewusst war, ärgerte ihn.
„Darf ich Sie daran erinnern, Miss Talbot, dass Hugo darauf brennt, Sie endlich kennenzulernen? Ich möchte ihn nicht länger als unbedingt nötig auf die Folter spannen.“
Sie klappte die Speisekarte zu und lehnte sich zurück. „Ich nehme eine große Portion Pommes frites und einen Milchshake.“
„Sie haben so lange gebraucht, um sich für einen Milchshake und Fritten zu entscheiden?“, hakte Sebastian ungläubig nach.
„Mit Ketchup.“
„Da hätten wir ja bei einem Schnellimbiss anhalten und uns Zeit sparen können.“
Nun nahm sie ihren Pullover und die Handtasche von der Bank neben sich. „Okay! Auf in den nächsten Schnellimbiss.“
„Bleiben Sie sitzen!“
Offensichtlich hatte er lauter als beabsichtigt gesprochen, denn im nächsten Augenblick stand die Kellnerin am Tisch und fragte Lily: „Macht Ihr Freund Ihnen Schwierigkeiten?“
Lily lachte schallend. „Du lieber Himmel, er ist doch nicht mein Freund.“
„Und ich mache ihr keine Schwierigkeiten“, fügte Sebastian hinzu.
Die Kellnerin blickte ihn finster an. „Das möchte ich Ihnen auch geraten haben! Was darf’s denn sein?“
Er bestellte die Fritten und für sich ein Steak auf Toast, dazu eine Tasse Kaffee. „Ich hätte gedacht, Frauen wie Sie leben von Salat und Tofu“, bemerkte er, als sie aufs Essen warteten.
„Frauen wie ich?“ Lily warf ihm einen schrägen Blick zu. „Wie sind die denn?“
„Jünger als dreißig und sklavisch dem neuesten Trend ergeben, egal, wie seltsam der ist.“
„Sie verstehen nicht viel von Frauen, stimmt’s, Sebastian?“
Genug, um zu wissen, dass sie sich schlecht auf meine Konzentration auswirken, hätte er ihr erwidern können, tat es jedoch nicht. Sie neigte sich vor, und ihm fiel auf, wie rund und fest ihre Brüste waren. Ob sie einen BH trägt? fragte er sich unwillkürlich.
„Richtige Frauen sind keine Sklavinnen der Mode“, informierte sie ihn in einem Ton, der verriet, dass sie nicht viel von seiner Intelligenz hielt. „Wir stellen eigene Regeln auf.“
„Und wenn die überhaupt nicht mit denen der Männer übereinstimmen?“
„Dann schließen wir Kompromisse, wie wir es seit Anbeginn der Zeit getan haben.“
„Das klingt wie eine bequeme Ausrede, um zu tun, was man will, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, Miss Talbot.“
Mitleidig sah sie ihn an. „Wenn Sie immer nach dem Schlechten im Menschen suchen, werden Sie es letztlich auch finden.“
Entweder war sie wirklich naiv oder eine ganz raffinierte Intrigantin, und bevor er sich nicht klar war, was von beidem auf sie zutraf, würde er weiterhin auf der Hut sein.
„Meistens muss ich nicht lange suchen. Als Anwalt glaube ich an die Richtigkeit des alten Sprichworts: ‚Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen‘.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Denken Sie immer daran, Miss Talbot!“
2. KAPITEL
Verblüfft schüttelte Lily den Kopf, niedergeschmettert von Sebastians unablässiger Feindseligkeit. „Na ja, so viel zu dem Versuch, eine angenehme Unterhaltung zu führen!“
„Tut mit leid, falls die Wahrheit Sie
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