Sanft wie der Abendwind
immer ein erstes Mal.“
„Es wäre mir lieb, wenn Sie diese Premiere auf einen Zeitpunkt verlegen, an dem ich nicht mit Ihnen im Auto sitze.“
„Mir ist ziemlich egal, was Ihnen lieb ist, Miss Talbot. Besser gesagt, es ist mir völlig gleichgültig. Und ich versichere Ihnen, dass keinerlei Gefahr droht. Ihretwegen würde ich doch nicht mein Leben riskieren!“
Kurz danach bogen sie in eine ruhige Straße mit schönen alten Häusern ein. Sebastian setzte den Wagen rückwärts in eine so kleine Parklücke, dass sie, Lily, schon wieder das Schlimmste befürchtete, aber das Manöver gelang perfekt.
Dann griff er hinter ihren Sitz, wobei er ihr so nahe kam, dass sie sein dezentes Rasierwasser wahrnahm, und holte einen Aktenkoffer hervor.
„Warten Sie hier“, forderte Sebastian sie auf und stieg aus. „Es dauert nicht lang.“
Sie beobachtete, wie er die Straße überquerte und zu einem Haus ging. Noch bevor er geklingelt hatte, wurde die Tür von einer Frau geöffnet, die erfreut lächelte und ihn herzlich umarmte. Sie war unübersehbar hochschwanger. Er legte ihr den Arm um die Schultern und ging mit ihr ins Haus.
Es vergingen zehn Minuten, dann zwanzig, und der Himmel wurde immer düsterer. Plötzlich wurde im oberen Stock des Hauses, in dem Sebastian verschwunden war, ein Licht angeknipst.
„Na prima!“, sagte Lily gereizt vor sich hin. „Ich sitze hier und warte, während er ein Rendezvous mit seiner Geliebten hat. Kein Wunder, dass er gebeten hat, mit dem Abendessen nicht auf uns zu warten.“
Sie wandte sich um und sah nach, ob sich hinter den Sitzen irgendetwas finden ließ, womit sie sich die Zeit vertreiben konnte – eine Zeitung, ein Magazin oder wenigstens eine Landkarte. Der einzig interessante Gegenstand war jedoch Sebastians Pass, der offen auf dem Boden lag.
Grundsätzlich zählte sie sich zu den anständigen Menschen, die Leihbücher pünktlich in die Bibliothek zurückbrachten, alten Menschen Türen offen hielten und nur in unvermeidlichen Fällen zu Notlügen Zuflucht nahmen. Niemals inspizierte sie Medizinschränke anderer Leute oder las deren Postkarten. Der verflixte Pass zog jedoch ihren Blick wie ein Magnet an, und bevor ihr völlig klar wurde, was sie tat, hatte sie ihn aufgehoben und sah verstohlen hinein.
Sie hätte man anhand ihres Passfotos für eine dringend gesuchte Kriminelle gehalten, Sebastian Caines Foto hingegen wirkte wie von einem Porträtfotografen aufgenommen. Ja, er war wirklich attraktiv: markantes Gesicht, dichtes schwarzes Haar und Wimpern, um die ihn sicher jede Frau beneidete. Außerdem war er beeindruckend groß und muskulös, wie sie, Lily, aus eigener Anschauung bestätigen konnte.
Schade, dass er zu kurz gekommen war, als der Charme verteilt wurde!
Sebastian war kanadischer Staatsbürger und vierunddreißig Jahre alt. Er war schon zu so exotischen Zielen wie Russland, Ostasien, Marokko und Griechenland gereist.
Lily blätterte weiter. Sein letzter Auslandsaufenthalt hatte ihn nach Kairo geführt, sein am weitesten entferntes Ziel war Rarotonga gewesen. Ein Wunder, dass er bei all den Reisen und den Besuchen bei seiner Geliebten überhaupt Zeit zum Arbeiten fand!
Verärgert, weil sie so lange warten musste, klappte sie den Pass zu und blickte wütend durchs Fenster zu dem Haus, in dem Sebastian verschwunden war. Das heißt, sie wollte zu dem Haus sehen, aber die Aussicht war ihr versperrt – von keinem anderen als Sebastian, der im strömenden Regen neben dem Seitenfenster stand und sie anfunkelte.
Er hatte sie auf frischer Tat ertappt. Sie errötete, und der Mund war ihr plötzlich wie ausgetrocknet. Wie gelähmt saß sie da und hoffte, sie hätte sich nur eingebildet, Sebastian draußen zu sehen.
Das war natürlich eine vergebliche Hoffnung. Er ging ums Auto herum und riss die Fahrertür auf.
Für ihr Verhalten gab es keine Rechtfertigung, aber Lily versuchte es trotzdem. „Der Pass lag auf dem Boden.“
Seine hochgezogenen Brauen verrieten ihr, was er von dieser Ausrede hielt.
„Deshalb habe ich ihn aufgehoben. Man sollte einen Pass nicht herumliegen lassen.“
Sebastian setzte sich hinters Steuer und betrachtete sie eindringlich.
Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie sich mit jedem Wort in noch größere Schwierigkeiten brachte, aber sein vorwurfsvolles Schweigen raubte ihr den letzten Nerv.
„Ich meine, er hätte doch auf die Straße fallen können, ohne dass Sie es bemerken, und Sie wissen ja sicher, was für ein Aufwand es ist,
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