Sanfter Mond - Hawthorne, R: Sanfter Mond - Dark Guardian - 02 Full Moon
der Mondsichel illuminierte sein Profil, wodurch sein kräftiges Kinn und der scharfe Umriss seiner Nase besonders deutlich hervortraten. Seine Silhouette wirkte genauso kraftvoll wie er. Er hatte immer schon älter und stärker als die anderen ausgesehen.Vielleicht weil er in der Autowerkstatt seines Vaters gearbeitet hatte, wenn er nicht als Sherpa tätig war, bis spät in die Nacht, und das tat er noch immer. Ich sah oft noch Licht in dem alten Schuppen, wenn ich daran vorbeifuhr. Manchmal dachte ich daran anzuhalten, aber genau wie jetzt wusste ich, dass es keine gute Idee war. Also warum hatte ich mich mit ihm auf diesen Motorradausflug eingelassen? Um meine Abenteuerlust zu befriedigen? Als letzte Chance, etwas zu tun, das ich nicht tun sollte?
Unseresgleichen arbeiten in der äußeren Welt genau wie gewöhnliche Menschen. Mein Dad ist Anwalt, wie auch Connors Dad. Sie führen gemeinsam eine sehr erfolgreiche Kanzlei. Mir hat es nie an irgendetwas gefehlt; ich habe immer alles bekommen, was ich wollte. Rafe dagegen muss sich ständig Dinge gewünscht haben, die er sich nicht leisten konnte. Interessierte er sich plötzlich für mich, weil ich unerreichbar für ihn war?
Statt seine Frage zu beantworten, entwickelte ich meine
eigene Theorie. »Vielleicht willst du mich nur, weil du mich nicht haben kannst. Verbotene Früchte sind immer die süßesten, nicht wahr?«
Er schaute mir direkt in die Augen. »Glaubst du wirklich, dass es das ist?«
»Ich weiß es nicht.Vielleicht.«
»Das können wir ganz leicht herausfinden … Küss mich«, forderte er mich heraus. »Wenn es nur das ist, sollte ein Kuss meinen Hunger nach dir befriedigen.«
»Hunger? Das klingt, als wolltest du mich verschlingen.«
»Das beschreibt nicht einmal ansatzweise, was ich fühle, Lindsey. Es ist ein ganz primäres Verlangen. Es ist wie der Wolf, der in meinem Inneren lauert und darauf wartet, dass deiner zum Vorschein kommt.«
»Dann sind es nur die Wölfe?«
»Man kann sie nicht trennen. Es sind nicht zwei verschiedene Wesen. Ich bin ein Wolf und gleichzeitig ein Mensch. Ich denke ständig an dich, denke daran, dich zu küssen - ich möchte bei deinem ersten Vollmond an deiner Seite sein.«
Die Heftigkeit seiner Worte jagte mir Angst ein. Connor war lustig. Er lachte viel und zog mich auf. Rafe war ernst, dunkel und voller düsterer Vorahnungen.
Ich wollte mich umdrehen, um ihm in die Augen zu sehen.
Plötzlich brach der Boden unter meinen Füßen weg. Ich schrie auf, begann, mit den Armen zu rudern, und spürte, wie ich herabstürzte. Rafe griff nach mir, aber ich war schon zu tief gefallen. Er konnte mich nicht hochziehen.
Er konnte nichts weiter tun als meinen Körper zu umschlingen, als wir zusammen in den schwarzen Abgrund stürzten.
4
W undersamerweise war die Landung nicht annähernd so schmerzhaft, wie ich befürchtet hatte. Ich bekam nur kurz keine Luft. Rafe hatte es irgendwie geschafft, als Erster aufzuprallen und meine Landung gepolstert. Ich lag auf ihm drauf. Mit einem Arm hielt er mich an sich gepresst. Mein Gesicht lag an seinem Hals, und ich atmete seinen wundervollen Geruch ein.
Er lag ganz still da und stöhnte leise auf.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich.
»Ja.«
Seine Stimme klang gepresst, und mir wurde klar, dass ich ihm wahrscheinlich die Luft abdrückte, weil ich auf ihm lag. Ich hätte mich von ihm herunterrollen sollen. Stattdessen blieb ich, wo ich war, und genoss das Gefühl, seinen festen Körper zu spüren, obwohl ich wusste, dass es falsch war. Wenn wir beide den Kopf ein kleines bisschen zur Seite drehten, würden unsere Lippen sich berühren und wir …
»Du hättest nicht sagen sollen, was du da oben zu mir gesagt hast, Rafe«, flüsterte ich. Ich hätte ihn ausschimpfen sollen, aber meine Worte klangen eher wehmütig als streng.
»Ich dachte, du solltest es wissen.«
»Es ist zu spät.«
»Nein, ist es nicht«, sagte er heftig. »Nicht bis zum Vollmond.«
Das konnte ich Connor nicht antun, und was auch immer es war, das ich für Rafe empfand, war vielleicht nichts weiter als eine vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit.
»Ich habe gemerkt, dass du mich beobachtest«, sagte er leise. »Ich dachte, du würdest vielleicht dasselbe für mich fühlen wie ich für dich.«
»Glaub mir, Rafe, ich weiß nicht, was ich fühle.« Außer, dass ich Angst hatte, und das wollte ich nicht zugeben.
Ich rappelte mich hoch und hockte mich neben ihn. Es war stockfinster hier unten,
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