Sanfter Mond über Usambara
die Brüder ihn besuchen.
Charlotte beließ es dabei. Es war nicht der geeignete Moment, dem Kind klarzumachen, dass eine Rückkehr nach Deutsch-Ostafrika nicht geplant war. George hatte recht gehabt, es geschah dort das Gleiche wie in Deutsch-Südwest, wo die deutschen Kolonialherren Dörfer niederbrannten, Brunnen zerstörten und Ernten vernichteten, um den Aufstand der Eingeborenen niederzuschlagen. Unzählige Menschen hatte man so dem Hungertod preisgegeben, andere hatte man in Lager gesperrt, wo sie langsam dahinsiechten, krank an Leib und Seele, ohne Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben. Max von Roden, Elisabeths Vater, hatte damals gesagt: » In Afrika ist Platz für alle, Schwarze und Weiße, Inder, Goanesen und Araber. « Charlotte hatte ihm geglaubt, doch die grausamen Geschehnisse des maji-maji -Aufstands in Deutsch-Ostafrika hatten ihr die Augen geöffnet. In Afrika war nur Platz für die Mächtigen, jene, die das Land mit Waffengewalt an sich brachten, ihm seine Schätze entrissen und seine Menschen unterjochten. Wer sich den weißen Kolonialherren widersetzte, bezahlte mit seinem Leben dafür. Sie bewunderte George, der unablässig Artikel für deutsche und britische Zeitungen verfasste und so wenigstens mit der Feder gegen das Unrecht ankämpfte. Was ihr selbst vielleicht gelungen wäre– Augen und Ohren zu verschließen und sich in ihr kleines Paradies, die Plantage am Kilimandscharo, zurückzuziehen–, war für George nicht möglich. Er hatte es ihr zuliebe versucht, doch sie hatte rasch begriffen, wie unglücklich er war. Sosehr sie Afrika liebte, sosehr es sie dorthin zurückzog– sie würden einen anderen Ort finden, einen Platz irgendwo auf der Welt, in Deutschland, in England oder wo auch immer, an dem sie alle drei guten Gewissens und zufrieden miteinander leben konnten.
Elisabeth, die zunächst solches Heimweh nach George gehabt hatte, dachte inzwischen nur noch wenig an ihn, sie war anderweitig beschäftigt. Die Sechsjährige hatte bisher nur selten mit weißen Kindern Kontakt gehabt, ihre Spielgefährten waren schwarze Jungen und Mädchen gewesen, die sich bereitwillig ihren Wünschen gefügt hatten, war sie doch die Tochter der bibi Roden. Charlotte hatte eigentlich erwartet, dass ihre Kleine alle naselang heulend zu ihr gelaufen käme, weil Ettjes Söhne keine Lust hatten, ihre Tyrannei zu ertragen, doch weit gefehlt. Die kleine Elisabeth hatte die drei Knaben von Anfang an unter ihrer Fuchtel, sie waren der Hofstaat der blonden Prinzessin aus Afrika und wetteiferten darin, ihre Befehle auszuführen. Freilich nur am Nachmittag, denn am Vormittag war Schule. Dann trieb sich Elisabeth bei Antje herum, spielte mit der kleinen Fanny, der sie allerlei Unsinn beibrachte, und Charlotte hatte Mühe, sie zu ein paar Rechenaufgaben und Diktaten zu überreden. Elisabeth hatte bisher noch keine Schule besucht, doch Charlotte hatte früh begonnen, ihre Tochter selbst zu unterrichten, wie es auf den einsam gelegenen Plantagen Afrikas üblich war.
Im Grunde war sie froh, dass das Mädchen sich so mühelos an das Leben in Leer anpasste, ihr selbst fiel dies sehr viel schwerer. Vielleicht war es sogar gut, dass George so lange fortblieb, so hatte sie Zeit, sich über ihr Verhältnis zu ihrer Familie klar zu werden. Mennas Hinterhältigkeit hatte sie tief verletzt, vor allem deshalb, weil sie selbst vollkommen arglos gewesen war. Schließlich waren George und Marie seit acht Jahren geschieden, und– da hatte Ettje vollkommen recht gehabt– es war tatsächlich Marie gewesen, die die Scheidung verlangt hatte. Die hübsche, kluge Marie hatte sich einen anderen Ehemann ausgesucht, einen wohlhabenden englischen Adeligen, der ihr ein luxuriöses Stadthaus in London und einen großen Besitz auf dem Land bieten konnte und dessen Lebensführung ihren Vorstellungen von Familienleben besser entsprach als Georges rastlose Ortswechsel. Marie konnte im Grunde vollkommen zufrieden sein– doch offensichtlich war sie es nicht.
Schlimmer noch: Ihre hübsche Cousine Marie, die sie als junges Mädchen geliebt und bewundert hatte, verbreitete hinter ihrem Rücken solche boshaften Dinge. Noch vor einigen Wochen hatte dieselbe Marie geschrieben, sie würde Charlotte und Elisabeth gern in ihrem Haus empfangen, doch in Wirklichkeit hegte sie ganz andere Gefühle. Wie falsch Marie doch war, genau wie ihre Schwester Menna. Weshalb hatte sie das bisher nicht bemerkt? Wo hatte sie Augen und Ohren gehabt? Was für ein
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