Sanfter Mond über Usambara
er war durch die Prüfung gefallen– im Grunde war das Geld vergeudet gewesen. Genau wie der Rest ihrer Mitgift, das Erbe ihrer verstorbenen Eltern, das bei dem Konkurs von Christian Ohlsens Laden verloren gegangen war. Aber was zählte das jetzt noch? Dankbar umarmte sie die Großmutter und versicherte ihr, dass dieses Schriftstück von nun an keinen Unfrieden mehr in der Familie stiften würde.
Welche Harmonie herrschte an diesem Abend in der Wohnstube der Großmutter! Paul war zu Tränen gerührt, als Charlotte das Papier vor seinen Augen in den kleinen Kanonenofen stopfte, er umarmte sie sogar und versicherte ihr, er hätte diese Schuld ganz sicher irgendwann abgetragen, sie habe ihm schwer auf der Seele gelegen. Doch momentan spare er, wo er nur könne, um auf einen grünen Zweig zu kommen, Antje sei in anderen Umständen, und sie hofften sehr, dass Gott ihnen ein weiteres Kind, möglichst einen Stammhalter, schenke. Sicher sei das nicht, denn Antje habe nach Fannys Geburt zwei Fehlgeburten erlitten, sie sei leider ein wenig schwächlich und müsse sich in der Schwangerschaft schonen.
Selten hatte sie Paul so geschwätzig und vertrauensselig erlebt; es war merkwürdig, dass man mit Geld das Herz eines Menschen gewinnen konnte. Auch Antje wirkte wie ausgewechselt, sie schenkte Charlotte Tee ein, lächelte dabei und erzählte eifrig, dass sie eine bescheidene Erbschaft zu erwarten habe, da ihre Eltern ein Häuschen und eine Schneiderwerkstatt besäßen. Nur habe man ihr nichts in die Ehe mitgeben können, das war nun einmal so, sie war die Älteste von sieben Geschwistern, und man lebe in kleinen Verhältnissen. Als Paul jedoch ihre Fehlgeburten erwähnte, senkte sie schuldbewusst die Augen und verstummte wieder.
Ettje, die gleich in der Nachbarschaft wohnte, kam mit ihrem Mann Peter Hansen herüber und schloss Charlotte impulsiv in die Arme, als sie hörte, was geschehen war.
» Ich wusste es, Paul. Habe ich dir nicht gesagt, sie wird das Geld nicht zurückhaben wollen? Ich kenne doch die Lotte, sie ist eine gute Seele… «
Auch die Großmutter war zufrieden. Wenn Charlotte schon nicht an ihre Deern denken wollte, dann würde der Verzicht wenigstens Paul und Antje zugutekommen und der kleinen Fanny, wohl auch dem Ungeborenen, das dieses Mal sicher ein Junge sein würde. Sie hatte den Willen ihres verstorbenen Mannes erfüllt, und das war ihr wichtig gewesen. Nur Peter Hansen, der Charlotte vor Jahren verehrt hatte und auch jetzt immer wieder zu ihr hinschauen musste, sagte leise, damit weder Paul noch Antje ihn hören konnten: » Hoffentlich bereust du das nicht einmal, Lotte. «
Seine Worte gingen im Redegewirr unter, das nun besonders angeregt war, weil Peter Hansen eine Flasche Wein mitgebracht hatte. Man besprach den Plan der Großmutter, Paul erbot sich, sich nach den Grundstückspreisen zu erkundigen, und riet dazu, nicht lange zu überlegen, Ettje beschrieb das neu gebaute Haus eines Fabrikanten, das sogar einen Balkon und einen säulengestützten Vorbau habe, dazu einen ganz allerliebsten Garten, fast ein kleiner Park mit einem gemauerten Brunnen und kleinen Figürchen aus weißem Stein. Dann berichtete sie, dass im kommenden Jahr in Leer ein großes Heimatfest anlässlich des vierhundertjährigen Bestehens des Gallimarkts stattfinden würde. Einen Umzug durch die Stadt wolle man machen, Herr Peters solle den Grafen Edzard in einer Ritterrüstung hoch zu Ross darstellen, und ihr Henrich dürfe als Bannerträger mitgehen.
Die Wogen schlugen so hoch, dass schließlich Elisabeth in ihrem langen Nachthemd an der Stubentür auftauchte, die kleine Fanny im Schlepptau.
» Ihr seid so laut « , beschwerte sie sich ungnädig. » Wir können nicht schlafen. Und dann hat Fanny auch Hunger. «
Die Großmutter humpelte in höchsteigener Person in die Küche, um für ihre beiden Lieblinge den Kuchen anzuschneiden, der eigentlich für morgen Nachmittag bestimmt war. Vollgestopft mit frischem Hefekuchen und Milch wurden die beiden Mädchen zurück in ihre Betten verfrachtet, und Fanny– das konnte Charlotte deutlich durch die Wand hören– erhielt von ihrer Mutter zwei Backpfeifen, weil sie ohne Erlaubnis das Bett verlassen hatte. Elisabeth kroch daraufhin wieder unter ihrer Decke hervor und lief ins Nebenzimmer.
» Das war meine Schuld « , hörte Charlotte ihre Tochter laut verkünden. » Sie hat nicht gehen wollen, aber ich hab sie mitgenommen. Du darfst sie nicht schlagen, Tante Antje! «
Mit roten
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