Sanfter Mond über Usambara
Wahnvorstellungen sieht er seine Zweifel in der Fratze des Teufels. «
Charlotte holte tief Luft. Georges Erklärung wollte ihr nicht so recht einleuchten. Es litten auch andere Menschen unter Glaubenszweifeln, ohne dass sie gleich dem Irrsinn verfielen. Viel naheliegender schien ihr, dass irgendetwas in Peter Siegels Oberstübchen nicht ganz in Ordnung war, ähnlich wie bei einer Nähmaschine, bei der der Faden riss, wenn man die Pedale aus Versehen in der falschen Richtung trat. Aber George war der Arzt, wahrscheinlich hatte er recht mit seiner Vermutung.
» Ich bin todmüde « , bekannte ihr Mann jetzt und reckte Arme und Beine, dass der wacklige Stuhl bedenklich knarrte. » Lass uns schlafen gehen. «
Sie zogen sich beim Schein der Lampe aus, schlüpften in die von Martha Mukea vorbereiteten Betten und kuschelten sich schlaftrunken aneinander.
» Du wirst hierbleiben müssen, bis ein vernünftiger Verwalter gefunden ist « , murmelte George.
Sie wusste, dass er recht hatte, aber der Gedanke gefiel ihr ganz und gar nicht.
» Nein, ich reise in wenigen Tagen mit dir und Elisabeth nach Daressalam. «
Er grunzte, es hörte sich an wie ein kleines Lachen.
» Glaubst du vielleicht, ich käme ohne dich nicht zurecht, mein Schatz? «
Genau das glaubte sie tatsächlich, doch sie hütete sich, es auszusprechen. Stattdessen suchte sie seine Lippen und küsste ihn.
» Und was ist mit mir? « , murmelte sie vorwurfsvoll. » Glaubst du vielleicht, ich könnte es wochenlang ohne dich aushalten? «
April 1909
Die Fliegen waren eine rechte Plage an diesem Nachmittag. Vermutlich zog sie der Duft der Zitronenlimonade an, oder es lag einfach an der feucht-schwülen Luft, dass sie in ganzen Schwärmen umhersurrten. Sie krochen über die bunten Kissen, die Klara für die Terrassenstühle genäht hatte, sie umschwirrten die blühenden Pflanzen in den Töpfen und krabbelten frech über das aufgeschlagene Rechnungsbuch, in das Charlotte gerade ihre Eintragungen machte. Klara hatte sich ein Stück Papier zu einem Fächer gefaltet und versuchte, die zudringlichen Biester damit abzuwehren, doch die aufdringliche, brummende Schar hatte wenig Respekt vor ihrer Waffe.
» Es wird wohl wieder Regen geben. «
Klara musste sich ein wenig zur Seite beugen, um den Himmel zu betrachten, da das hölzerne Überdach der Terrasse die Wolken verdeckte. Charlotte dagegen hob nicht einmal den Kopf– das schwindende Licht und die vorüberziehenden Schatten sagten ihr deutlich, dass sich dort oben etwas zusammenbraute. Warum auch nicht? Es sollte nur kräftig regnen, damit die Knospen an ihren Kaffeebäumchen aufblühten.
Seufzend nahm Klara ihre Näharbeit wieder zur Hand. Sie hielt nicht viel von den tropischen Güssen, die den staubigen Erdboden im Nu zu rötlichem Morast werden ließen und es ihr unmöglich machten, das Haus zu verlassen. Aber es war nun einmal Regenzeit, zum Glück nur die kleine, doch auch die dauerte einige Wochen an.
» Wenn nur Peter schon zurück wäre « , sagte Klara mit gedämpfter Stimme, um Charlotte nicht bei der Arbeit zu stören. » Weshalb muss er nur so lange Spaziergänge unternehmen? «
Seitdem George und Elisabeth vor zwei Wochen nach Daressalam abgereist waren, hatte Klara jede Minute genutzt, die sie an Charlottes Seite verbringen konnte. Tagsüber war das freilich nur selten möglich, weil ihre geschäftige Cousine meist unterwegs war. Doch heute war Lohntag gewesen, alle Arbeiter waren zum Wohnhaus gekommen, hatten ihre Marken gebracht, und Charlotte hatte den ganzen Morgen über neben dem Hauseingang an einem Tisch gesessen und die Gelder ausbezahlt. Nun war sie damit beschäftigt, die Bücher in Ordnung zu bringen.
» Mach dir keine Sorgen « , murmelte Charlotte, während sie ordentlich die Zahlen eintrug. » Johannes Kigobo ist bei ihm, der passt schon auf ihn auf. «
» Natürlich, du hast vollkommen recht. Ich will dich auch gar nicht stören, Lotte. Schaut es gut aus mit der Plantage? Du machst so ein ernstes Gesicht. «
» Es wird besser ausschauen, wenn wir den Kaffee erst geerntet und einen anständigen Preis dafür erhalten haben. «
» Du liebe Güte! Sagtest du nicht, er könne erst im Dezember geerntet werden? Aber wir haben doch Kartoffeln, Gerste und Gemüse verkauft. «
» Gewiss… «
Charlotte vertiefte sich wieder in ihre Berechnungen. Bisher hatte die Plantage weitaus mehr gekostet als sie abwarf. Vor allem die Löhne schlugen zu Buche, aber auch Lebensmittel, Zement,
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