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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Bach
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auch immer damals geschehen ist, dachte sie, ich will es nicht wissen. Er hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen, und dort soll es ruhen. Auf keinen Fall möchte ich mit seiner gierigen Verwandtschaft um irgendwelche Besitztümer streiten.
    Am besten wäre es, den Termin der Testamentseröffnung bewusst verstreichen zu lassen. Erleichtert, endlich zu einem Entschluss gekommen zu sein, gab sie ihrem Maultier die Fersen, um so schnell wie möglich zu den Kaffeepflanzungen zu gelangen. Endlich tauchten in der Ferne die ersten Felder auf. Charlotte stellte sich in die Steigbügel, um besser sehen zu können, und schimpfte innerlich über den Dunst, der ihren Blick verschwimmen ließ. Wieso stiegen dort immer noch Nebelschleier auf, wenn andernorts sogar schon die Berge zu sehen waren? Täuschte sie sich, oder lag auf den oberen Ästchen tatsächlich ein zarter weißer Schaum?
    » Nun mach schon, du faules Maultier. Lauf! «
    Es gab keinen Zweifel– das waren Blüten. In dichten Büscheln saßen sie an manchen Zweigen, einer neben dem anderen wie kleine Schneebälle, und jedes dieser weißen Schaumkügelchen bestand aus vielen zarten Blüten. Sechs längliche Blütenblätter öffneten sich um den Stempel, sechs wachsfarbene Staubfäden hoben sich, um ihren Samen zu verteilen. Charlotte war von ihrem Maultier abgestiegen und lief zwischen den Kaffeebäumchen herum, bestaunte das Wunder der aufgeblühten Knospen und berauschte sich an dem Duft, der an Jasmin oder Hyazinthen erinnerte. In diesem Jahr würde sie Kaffeefrüchte ernten, ihre Angestellten würden die roten Beeren in große Körbe pflücken und zu den Wasserbecken am Teich tragen. Himmel, sie musste den Pulper ausprobieren, wenn der große Rührbottich nichts mehr taugte, war es wichtig, rechtzeitig einen neuen anzuschaffen. Säcke waren zu besorgen, Bastmatten, auf denen die Bohnen trocknen konnten, eine Waage– hatte sie überhaupt genügend Körbe? In den nächsten Tagen wollte sie hinunter nach Wilhelmsthal reiten und bei den indischen Händlern vorbeischauen, oder war es vielleicht günstiger, die Sachen in Tanga zu bestellen? Wenn nur der Transport mit der Usambara-Bahn nicht so teuer wäre! Die Fracht für einen Pulper betrug fast die Hälfte seines Kaufpreises. Aber wenn man Träger anmietete, dann kostete es auch nicht viel weniger…
    Sie hatte den einsamen Reiter auf der Fahrstraße gar nicht bemerkt, erst als Simba leise knurrte, drehte sie sich um. Der Mann jagte sein Pferd über den rutschigen Weg, als sei es ihm herzlich gleichgültig, ob es dabei ausglitt und sie sich alle beide den Hals brachen. Erst der Anblick ihres Maultiers, das sie an einem Busch angebunden hatte, veranlasste ihn, sein Reittier zu zügeln und in gemäßigtem Tempo näher zu reiten. Charlotte musterte das braune Pferd, das ihr irgendwie bekannt vorkam, dann schob der Reiter den fleckigen Lederhut aus dem Gesicht, und nun gab es keinen Zweifel mehr.
    » Die weißen Blüten passen gut zu Ihrem schwarzen Haar! « , bemerkte Jeremy Brooks statt einer Begrüßung.
    » Sie sind ein erstaunlicher Mensch, Mr Brooks « , entgegnete Charlotte, die nach wie vor verärgert war über die fünf Flaschen Whisky, die er im Gästezimmer für sie zurückgelassen hatte. » Gestern Abend brachten Sie vor Schwäche kaum ein Wort heraus, und heute früh sitzen Sie schon wieder im Sattel. «
    » Ich besitze ein Zaubermittel, das mich immer wieder auf die Beine bringt… «
    » Ich weiß… «
    Er blieb ernst, blickte vom Rücken des Pferdes auf sie herunter, und zum ersten Mal nahm sie bewusst wahr, dass er braune Augen hatte. Sein Gesicht war glatt rasiert, trotz seiner Jugend zeigten sich in den Augenwinkeln erste kleine Fältchen– ein Tribut, den viele Europäer der afrikanischen Sonne leisten mussten.
    » Ahnte ich es doch « , gab er mit theatralischem Seufzen zurück. » Auch dieses Geschenk fand keine Gnade vor Ihren Augen. Und dabei habe ich es mir sozusagen aus dem Herzen gerissen, schöne Frau. «
    Er hatte einen selbstbewussten Charme, der sie verwirrte und zugleich abstieß, doch mit Sicherheit hatte er bei gewissen Damen Erfolg damit. » Darf man fragen, was Sie schon so früh in die Berge hinausgetrieben hat, Mr Brooks? « , fragte sie schnippisch, doch er ließ sich von ihrem abweisenden Ton nicht aus der Fassung bringen.
    » Man darf, Gnädigste. Ich vermisste meinen Hut und machte mich auf, das gute Stück zu suchen. Es handelt sich nämlich nicht um irgendeinen Hut, sondern

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