Sankya
irgendwie zuckten, selbst wenn Arkadij Sergejewitsch schwieg. Entweder las er die Speisekarte und bewegte dabei die Lippen, oder er mümmelte einfach rum – als würde er das für den Anfang richtige Wort suchen und, nachdem er einige Wörter auf ihren Geschmack hin probiert hatte, das benötigte doch nicht finden können.
Und von ihm ging – durch das Rasierwasser hindurch – ein Geruch nach etwas Schwerem aus, als wäre er eben noch im Pferdestall gewesen.
Dem Aussehen nach wirkte er älter als Besletow. Über fünfzig, das war er sicher.
»Wirst du richtig essen?«, fragte Besletow.
»Nein, ich nehme einen Cognac und Brötchen«, antwortete Arkadij Sergejewitsch und legte die Speisekarte weg. »Willst du einen Cognac?«, fragte er Sascha.
»Unbedingt.«
Die Brötchen und der Cognac wurden schnell gebracht. Vier Häppchen mit rotem Kaviar lagen auf dem Teller, der Cognac kam in großen Gläsern.
»In Russland ist nicht das Bessere der Feind des Guten, sondern die Misere sucht noch größeres Unglück«, sagte Arkadij Sergejewitsch, nachdem er getrunken hatte. Er wandte sich dabei ausschließlich an Sascha, Besletow hatte all das offenbar schon einmal zu hören bekommen. »Solange wir das nicht verstehen, wird sich nichts ändern«, fuhr Arkadij Sergejewitsch fort; er suchte Saschas Augen, der allerdings nach wie vor von den Lippen des Gesprächspartners geradezu gebannt war. »Du und ich, wir sind sehr viel mehr Waffenbrüder als ich und Aleksej, mit Verlaub Kostantinytsch. Weil wir – wir beide! – Patrioten sind. Für uns ist Schukow ein ebenso heiliger Name wie Denikin . Und Besletow beginnt da gleich an den Fingern herumzudrücken – der eine ist wegen einer Sache nicht gut, der andere wegen einer anderen schlecht.«
»Ach, alle sind gut«, tat Besletow mit einer Handbewegung ab, und zwar ohne jeden Ärger.
»Für dich sind natürlich alle gut«, winkte Arkadij Sergejewitsch seinerseits ab. »Egal worüber du mit Besletow zu sprechen beginnst«, – die ausgestülpten Lippen zielten erneut auf Sascha – »er wird in allem herumstochern, wie ein Vegetarier bei einem üppigen Essen. Aber für uns ist die Geschichte unserer Heimat immer das Allerteuerste. Nicht wahr, Sanja?«
Zwar nickte Sascha nicht einmal, Arkadij Sergejewitsch bestätigte trotzdem voller Zufriedenheit: »So ist das«, sagte er während er ein Brötchen aß. »Und diese ganze widerwärtige Umgestalterei, die das Reformatorenpack seinerzeit begann, hassen wir beide. Und im Unterschied zu dir, war ich in jenem denkwürdigen Jahr noch auf den Barrikaden , unter dem rot-braunen Schweinepack. Und Panzer haben auf mich geschossen! Und ich, Sanja, habe ihnen das bis jetzt nicht verziehen. Die Zeit kommt schon noch, dann werden wir abrechnen. Nur nicht jetzt. Heute geht das noch nicht.«
»Wer hat das gesagt?«, fragte Sascha, um wenigstens irgendwie das Gespräch aufrechtzuerhalten. Ihm war es in Wahrheit egal, wer das gesagt hatte.
»Mach die Augen auf und du wirst selbst sehen, Sanja«, antwortete Arkadij Sergejewitsch und drückte die Augen verliebt zusammen. »Russland wird keinen weiteren Umbau aushalten, es wird in Trümmer zerfallen, und die wird man dann mit keiner Schaufel mehr aufsammeln können. Was hält dieses Riesentrumm, das sich über einen halben Kontinent erstreckt, noch zusammen – sag doch selbst! Es gibt keinen gemeinsamen Gott, keinen Glauben an die Zukunft, keine gemeinsamen Hoffnungen, keine gemeinsame Verzweiflung, es gibt nichts, keine einzige Verbindung! Nur die Macht! Ja, ja, Sanja, ich seh schon deinen Ärger.« Sascha schaute gerade verliebt das Kaviarbrötchen an. »Aber das ist die Wahrheit. Eine aberwitzige, schwer ausdrückbare, falsche Wahrheit, die aber immerhin ein bisschen russisch, und auch ein bisschen normal ist. Dort gibt es gute Kerle, Sanja, sie verstehen alles, alles. Echte Kerle, die Kolchosen mit ihren bloßen Händen errichteten, Fabriken gebaut haben, und diese Leute von altem Schlag sind jetzt allesamt schrittweise an die Macht zurückgekehrt. Sie werden langsam, mit der Zeit, alles in Ordnung bringen und uns aus diesem Sumpf herausziehen, Sanja … Und wenn ihr …« Arkadij Sergejewitsch trank noch ein wenig und saß dann eine Zeitlang mit fest zusammengebissenen Zähne da. »Euch benutzt man natürlich – als Schreckgespenst«, sagte er schließlich. »Um russische Kinder zu erschrecken. Und für einiges Andere werdet ihr auch noch benötigt. Sie machen das nur, um euch
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