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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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zu benutzen. Der Teufel weiß, wer euch Geld zahlt. Wer bezahlt euch denn eigentlich?«
    Sascha gähnte plötzlich, schaute dem Gesprächspartner in die Augen, atmete aus und gab keine Antwort.
    »Sanja, ich sehe dich – so, von Angesicht zu Angesicht – zum ersten Mal im Leben«, sagte Arkadij Sergejewitsch und begann fast zu flüstern. »Aber mir scheint, dass ich eine Sache an dir schon verstanden habe. Du möchtest, wie in der Kindheit, an nichts schuld sein.«
    »Das möchte ich. Und ich habe in allem recht.«
    Arkadij Sergejewitsch schwieg und kaute lange an den Lippen herum. Besletow aß seine Hauptspeise auf, er hantierte geschickt mit Messer und Gabel.
    »Womit eigentlich?«, fragte schließlich Arkadij Sergejewitsch.
    »Damit zum Beispiel, dass ›Revolution‹ und ›Russland‹ heute gleichwertige und gleich große Begriffe sind. Russland ist nicht länger außerhalb der Revolution und ohne Revolution denkbar.«
    »Und womit noch?«
    »Dass von Ihrer Generation nicht ein Wort übrigbleibt, das man für sie einlegen könnte. Sie sind fauler Moder.«
    Arkadij Sergejewitsch und Besletow blickten einander an und begannen zu lachen. Besletows Lachen klang, als würde jemand Glas abwaschen. Arkadij Sergejewitschs Lachen war ein wiederholtes Knarren. Auch Sascha begann zu lachen.
    »Wie ihr alles verschissen und verfickt habt«, sagte er fast zärtlich und stand vom Tisch auf.
    Er spazierte, eigenartige Grimassen schneidend und manchmal sprechend, durchs Stadtzentrum. Die Straßenlaternen brannten, die Schaufenster glänzten matt, von irgendwoher war die ganze Zeit über Musik zu hören – aus geöffneten Autos, durch die schönen Türen der Kaffeehäuser. Grelle Nachtschwärmerinnen gingen zu zweit oder alleine, manchmal mit ihren Kavalieren. Die Kavaliere spazierten alleine, zu dritt, manchmal mit Nachtschwärmerinnen.
    »Ich bin eine düstere Missgeburt«, dachte Sascha ganz ruhig. »Ich kann töten. Ich brauche keine Frauen. Ich habe keine Freunde, und werde auch keine haben.«
    »Ja, du bist tatsächlich eine widerliche Missgeburt, Sascha«, sagte er sich selbst. »Warum hast du von der Mutter Geld angenommen? Hast du ihre Stiefel gesehen? Sie geht schon das dritte Jahr fast auf den Socken rum – aber du nimmst Geld von ihr. Du hättest dich zusammenreißen können und was arbeiten, ha?«
    »Und dabei empfiehlt er Besletow, das ›Vater unser‹ zu lesen, der Vergeltsgottschlecker« – Sascha war von sich selbst angewidert.
    »Zum Teufel, wo haben die eigentlich das ganze Geld her?« Sascha war wie üblich über die teuren Autos verblüfft, aus denen junge Leute in bester Kleidung ausstiegen. »Allein dieses Auto kostet so viel, wie meine Mutter in hundertundvierzig Jahren nicht verdient. Arbeitet sie vielleicht schlecht? … Oder stelle ich wieder dumme Fragen?«
    Weil er nichts zu tun hatte, ging Sascha in einen 24-Stunden-Supermarkt. Er schlenderte dort – entrückt – von Regal zu Regal.
    Er schaute die Fische an, die sogar in Zoologielehrbüchern selten vorkamen. Die Fische waren in Öl eingelegt, wie wertvolles Metall. Garnelen, Oktopusse, Hummer, Tintenfische, Krebse, Medusen und Muscheln in derart riesigen Mengen, als würden sie im hiesigen Stausee gezüchtet und nicht gefischt, sondern mit dem Kescher aus dem Wasser geschöpft, weil sie sich geradezu unanständig vermehrt hatten. Und dann weiß keiner, mit welcher Sauce sie serviert werden sollen.
    Und dann all die Käsesorten, die aus irgendwelchen Schatztruhen stammten, aus den Kellern und Verliesen aus den Märchen, die vor langer Zeit gelesenen wurden. Käse, so aromatisch wie die schönsten und jüngsten Mädchen. So einen Käse darf man nicht essen, man muss ihn sich an die Wange drücken und weinen.
    Fleisch, unanständig viel Fleisch, man könnte einfach zum Tier werden, so viel Fleisch. Dieses nackte, entblößte Fleisch darf man normalerweise nur in der Natur sehen, im Licht des Lagerfeuers, wenn du das Tier selbst getötet, erschlagen, zu Tode gehetzt hast, nur dann ist der blutige und hilflose Anblick des Fleisches, ohne Wolle und ohne Fell, irgendwie gerechtfertigt. Aber hier liegt es so offen zur Schau gestellt da … Wodurch haben wir es verdient? …
    Richtige Kolliers aus nackten Hühnern und lange Gänse, die selbst ohne Kopf und ohne Federn noch überheblich wirken.
    Grünzeug, das wie im Traum duftet, Tomaten, rot und groß wie in der Kindheit, Gurken, die in keinem Stillleben Platz hätten.
    Meterweise Obst –

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