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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Traumata, das ganze Leben lang … Wie Sie doch immer alles auf irgendwelche Komplexe zurückführen wollen, vor allem auf die Komplexe von anderen. Kommen Sie erst einmal mit Ihren eigenen zurecht …«
    »Ich lasse aber meinen Komplexe keinen freien Lauf, indem ich mir nicht alles zurechtlege oder bei der einen oder anderen Gelegenheit auch mal jemanden erschieße.«
    Sascha zuckte ganz leicht zusammen.
    »Aber Sie geben Leuten Recht, die dumm und grausam und unverschämt sind«, sagte er, dann schwieg er. »Und Sie arbeiten sogar für sie.«
    »Sie sind normal«, antwortete Besletow. »Ihnen fehlt vielleicht der intellektuelle Glanz, aber sie haben, im Unterschied zu euch, wenigstens gesunden Menschenverstand.«
    »Aleksej, mir ist übel von dem, was Sie da sagen, glauben Sie mir das. Ich wusste immer schon, dass Sie ein Liberaler sind, aber nicht in diesem Ausmaß.«
    Sascha wollte sagen, dass Besletow ein kriecherischer Liberaler geworden war, sprach es aber nicht aus, als er bemerkte, dass die Hauptspeise gebracht wurde.
    »Liberaler, ist das jetzt etwa ein Schimpfwort?«, fragte Besletow. Er war noch nicht ernsthaft böse geworden, in seine Rede mischte sich aber unüberhörbare Herablassung.
    »In Russland ist das schlimmer als die Pest«, antwortete Sascha einfach.
    Auch für Besletow wurde die Hauptspeise gebracht und sie aßen einige Zeit schweigend.
    »Er könnte jetzt eigentlich Wodka anbieten«, dachte Sascha. »Vermutlich trinkt er während des Arbeitstags nichts. Sonst riecht er, wenn die Zeit fürs Beraten kommt … Wie geben Sie ihre Ratschläge, he? Beugen Sie sich zum Ohr runter und flüstern dann? Allerdings – was heißt Arbeitstag, es ist acht Uhr abends … Ah! Er fährt wahrscheinlich noch Auto!«
    Besletow kaute sorgfältig und schluckte das Essen langsam herunter.
    »Was ist denn Liberalismus, Sascha?«, fragte er schließlich. »In eurem Verständnis?«
    »Kratzt man den Lack ab, bleibt nichts als Habgier und Wucher, vermischt mit der berüchtigten Wahlfreiheit, von der Sie sich übrigens leicht und im Namen der, na ja, der Erhaltung der ökonomischen Komponente der liberalen Idee lossagen.«
    »Hab ich vielleicht etwas mit Habgier und Wucher zu tun?«
    »In unserem Streit nehmen Sie voller Überzeugung die Position jener Leute ein, die sich genau damit beschäftigen und genau darin ihr Lebensziel sehen.«
    »Aber die Freiheit ist mir dennoch sehr wichtig, Sascha.« Besletow wollte nicht streiten. »Wichtiger als zum Beispiel für dich. Du weißt ja nicht einmal genau, was das ist.«
    »Mich interessiert Ihre Freiheit nicht, ich mache mir Sorgen um meine Heimat, ihren Boden, ihre Kinder, ihre Arbeiter, ihre Alten. Ihre Freiheit kümmert mich nicht.«
    »Der Faschismus ist euch also vorzuziehen, geben Sie’s zu?«, fragte Besletow belustigt. Sein Gesprächspartner amüsierte ihn ganz offensichtlich.
    Sascha legte die Gabel auf den Teller. Ihm war der Appetit vergangen.
    »Oh, wie Sie dieses brennende Wort ›Faschismus‹ lieben!« sagte er. »Wie gerne Sie es hervorzischen! Ich schwöre, Sie haben eine wollüstige Beziehung zu diesem Wort. Sie träumen davon. Keiner meiner Freunde hat dieses Wort je ausgesprochen, kein einziges Mal. Und ich habe dieses Wort auch nicht verwendet, bis Sie es aussprachen.«
    »Woraus schließt du, dass ich euch für Faschisten halte?«, fragte Besletow bissig. »Am Anfang gab es diese Befürchtung tatsächlich, aber das ging rasch vorbei. Ihr seid keine Faschisten. Ihr seid Hooligans. Ihr werdet es niemals zu Faschisten schaffen. Im besten Fall könnt ihr sie schlecht spielen.«
    »Und mir kommt es so vor, das ist für manchen von Vorteil«, sagte ein schwerer Mann mit aufgedunsenem Gesicht, der zum Tisch getreten war, übrigens hatte er eine schöne, gerade Nase.
    Irgendetwas an seiner Gestalt berührte Sascha unangenehm, und er verstand auch gleich, was es war: Seine Lippen waren wie mit dem Schaum von gekochter Milch bedeckt, weshalb sie allzu fleischig, geradezu unangenehm lebendig wirkten.
    »Arkadij Sergejewitsch. Mein junger Freund – Aleksandr Tischin.« Besletow erfüllte seine Rolle, indem er den Hinzugekommenen und Sascha einander vorstellte.
    »Ich habe schon verstanden, klar, ich erkenne schon an den Augen ihre böse Rasse«, tat Arkadij Sergejewitsch ab. Seine Stimme war demonstrativ grob und laut.
    Arkadij Sergejewitsch setzte sich an den Tisch, und Sascha schaute unentwegt auf seine Lippen, umso mehr, als diese Lippen noch ständig

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