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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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fortsetzt.«
    »Ganz genau«, sagte Sascha. »Ich sehe das genau so.«
    Er aß die Suppe fertig und schielte nach der Kellnerin mit dem Schweinefleisch.
    »Jetzt machst du dich lustig. Das passt nicht zu dir, denkst du nicht?«
    »Wieso sind Sie zu mir mal per ›Sie‹, mal per ›Du‹?«, fragte Sascha.
    Besletow sah Sascha einen Moment lang aufmerksam an, dachte angespannt über etwas nach. Sascha musterte Besletow lächelnd.
    »Das ist doch egal«, antwortete Besletow, der den Kopf schüttelte. »Sag mir bitte, was ihr wollt! Ich habe hier … ich habe Zugang zu allen euren Dokumenten erhalten, zu den Manifesten der Partei, zu eurem Programm, zu den Flugblättern. Ich habe alles aufmerksam studiert. Viel pathetisches Gekeife, Schluchzer, Hysterie, viele Worte. Aber eines verstehe ich nicht: Was wollt ihr eigentlich? Nun, ihr könnt ziemlich gut Scheiß machen, eine auf den Schädel bekommen und den Schädel noch einmal hinhalten, und – was weiter? Wollt ihr eine bestimmte Ordnung errichten? Worin drückt sich die aus?«
    »Ordnung … eine russische Ordnung«, wiederholte Sascha mit schiefem Grinsen. »Sie verwechseln uns wieder mit jemand anderem.«
    »Ihr wollt also keine Ordnung?«
    »Es ist doch so: Wenn wir eine neue Ordnung wollen, nervt Sie das. Wollen wir keine Ordnung – geht Ihnen das auch auf die Nerven.«
    »Ja, weil es weder in eurer Ordnung noch in eurer Unordnung irgendetwas Eigenständiges gibt, zum Teufel! Überhaupt nichts! Worauf wollt ihr alles begründen und eure Zukunft aufbauen? Auf Kostenkos Kindergedichten? Oder auf seiner aberwitzigen Philosophie vom Nomaden des eurasischen Raumes?«
    »Gegründet auf das Gefühl der Gerechtigkeit und das Gefühl der eigenen Würde«, antwortete Sascha müde. »Hätte ich einen Sohn, ich würde ihn genau so erziehen.«
    »Das Land ist aber kein Sohn, Sascha!« Besletow sagte das nicht laut, ohne jegliches Pathos, weil er sich an die Suppe erinnert hatte, und es höchst vulgär gewesen wäre, aufzuschreien und dann den Löffel zum Mund zu führen.
    »In diesem Land schreien alle nach Revolution«, sagte Sascha und sah dabei zu, wie Besletow die Suppe aß. »Sie haben doch einen guten Geschmack, Aleksej, wie können Sie sich mit dem ganzen Albtraum rundherum abfinden? Jeder denkende Mensch – egal ob er in der Fabrik arbeitet oder auf dem Land, im weißen Mantel oder in Militäruniform – kapiert das doch. Schließen Sie die Augen, sprechen Sie zehn Mal das ›Vater unser‹, schalten Sie dann das Fernsehen ein, und Sie werden verstehen, dass dort nur Dämonen sind.«
    »Welche Dämonen, Sascha! Welche Dämonen denn! Wenn dort jemand vorkommt, dann harmlose Dummköpfe. Und es gibt auch keinen Albtraum, ihr wisst ganz einfach überhaupt nichts, habt nur zu viel von eurer eigenen abstrusen Propaganda gelesen.«
    »Na also, Sie haben sich ja schon abgefunden.« Sascha blickte Besletow an und dachte an das Fleisch, er wollte Fleisch.
    Besletow zuckte mit den Achseln – was bedeutete: Was für ein Unsinn, mein Gott!
    »Sie schimpfen so mit mir«, fuhr Sascha fort, »als hätten wir all das begonnen, eine Handvoll Jungs. Und wir werden jetzt die Erdachse verschieben, Russland in blutiges Chaos stürzen, und alles geht unter. Langsam fange ich an, auf uns stolz zu werden … Aber wir sind doch ein reiner Zufall, Aleksej. Uns hat ein zufälliges Lüftchen zusammengeweht. Die Revolution kommt nicht von oben und nicht von unten, sie kommt, wenn alle Wahrheiten ganz durchsichtig geworden sind.«
    »Das habe ich schon irgendwo gehört …«
    »Ich auch.«
    »Nur, eure Wahrheiten sind selbst ganz durchsichtig!« Besletow deutete mit dem Löffel auf Sascha. »Dieses Detail hast du ausgelassen. Sie sind nicht außerhalb von euch durchsichtig geworden, sondern in euch. In dir selbst, Sascha! Ihr wisst nicht, dass alles Unausweichliche die Menschen zwingt, sich zu ändern; so weit seid ihr mit eurem Verständnis noch nicht gekommen. Weißt du, warum du, warum ihr alle so erpicht darauf seid, in eurer Umgebung alles zu zerstören? Ihr wisst nicht, wohin mit euch, was ihr mit euch anstellen sollt. Im Grund versucht jeder von euch damit nur eigene psychische Traumata zu lösen …«
    »Aleksej, das ist eine Frechheit. Also, ehrlich gesagt, so etwas zu behaupten, ist ordinär. Schämen Sie sich nicht? Ein Mensch, der aus Erde geschaffen ist, ist ein einziges Trauma. Sie haben ein Trauma, ich habe ein Trauma, jeder hat eines. Und wir alle lösen sie, unsere

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