Sankya
Schreck um und lief, mit hochgezogenen Knien. Dann blieb er in einiger Entfernung lange stehen, von einem dunklen Bein auf das andere tretend, wie ein kleines Pferd. Als jemand die Straße entlangging, setzte sich Sascha und tat, als würde er mit den Steinen spielen. Er schämte sich, dass er sich vor einer Gans fürchtete. Der Mensch ging vorbei, erschreckte die Gänse und sie liefen wild mit den Flügel schlagend und wie blöde schnatternd davon.
Wenn Sascha sich erinnerte, sich an sein Leben erinnerte, dann mochte er auch nur diesen Jungen, den dunkelbeinigen, mit den Schrammen. Dann, als er die blonde Mähne losgeworden war, wurde aus diesem Jungen ein weißhäutiger, buckliger Blödkopf, der dumm lachte und alle anderen Merkmale eines Halbwüchsigen hatte. Sascha erinnerte sich nicht an seine Zeit als Halbwüchsiger, er vermied es, sich daran zu erinnern. Fahrig, raufsüchtig, unangenehm – wer möchte sich schon daran erinnern.
Jetzt gab es keine Gänseriche mehr.
Die Stege über das Flüsschen verbogen sich, brachen ein.
»Geht denn etwa niemand mehr ans andere Ufer hinüber?«, dachte Sascha und ertappte sich dabei, dass Großmutters »denn etwa« in seine Sprache eingegangen war. Aber vermutlich verwendete er diesen Ausdruck nur, weil er mit seinem eingebildeten Dörflertum spielte, das sich, wenn es je existiert haben sollte, schon lange in Nichts aufgelöst hatte. Selbst »denn etwa« konnte er nicht gelassen aussprechen, ohne sich bei einem Selbstbetrug zu ertappen.
Sascha ging das Ufer entlang zum weiter entfernten Strand. Manchmal fand er am Ufer alte Boote, die mit Ketten an Bäumen festgemacht waren, oder herrenlose, löchrige, die schon lange niemand mehr brauche. Sascha schaute in jedes Boot, in das feuchte oder vertrocknete Innere.
Das Dorf blieb rechter Hand zurück.
Der Weg zog sich in Furchen, als hätte man ihn durchgekaut und ausgespuckt und während die Spucke vertrocknet war, blieben die verbogenen, groben Spuren von Zähnen oder hartem Zahnfleisch zurück.
Der Fluss wurde allmählich breiter. Manchmal war in der Strömung schwaches Plätschern zu hören.
Über dem Gras taumelten unsinnig Mücken.
Sascha ging zu dem Platz, der Timochas Winkel hieß. Der Vater sagte, hier habe einst der Einsiedler Timocha gelebt, neben dem Fluss, der hier tatsächlich unvermittelt abbog und einen Knick bildete. Timocha war an irgendetwas erstickt. Die Fabel schenkte dem schönen stillen Strand mit dem weißen, fast schneefarbenen Sand seinen Namen.
Als kleiner Junge, der sich am Strand das Bäuchlein wärmt, hatte Sascha oft an Timochas Schicksal gedacht, aber in Anbetracht der Abwesenheit selbst eines kleinen Gebäudes, hatten die Überlegungen, wer dieser Timocha überhaupt gewesen war und wieso er ohne Menschen gelebt hatte, zu nichts geführt. Und dann war Saschka baden gegangen.
Manchmal – der Zeit nach zu urteilen, während der Mittagspausen – kamen junge Männer und hübsche Mädchen zum Strand. Irgendwo nicht weit entfernt wurde Torf abgebaut und in der freien Zeit planschte das arbeitende Volk glucksend herum.
Damals hatte der kleine Sascha zum ersten Mal gesehen, wie ein kräftiger Kerl in Badehose, in die sie so etwas wie eine Kartoffelknolle gelegt hatten, eine gut gebaute Schönheit abknutschte, sie an den Hüften streichelte und ihre weißen Brüste rieb, ohne sich vor dem Jungen zu schämen. Das auf dem Rücken liegende Mädchen ließ sich nicht lange auf die Lippen küssen und schlug bald dem Kerl gegen die Brust. Der nahm schließlich seine gierigen heißen Pfoten weg, stand unvermittelt auf und sprang vom hohen Ufer ins Wasser, verschwand fast für eine Minute unter Wasser, sodass die zerzauste Göre, die aufgestanden war und den Büstenhalter gerichtet hatte, sich Sorgen zu machen begann und unter vorgehaltener Hand Ausschau hielt, bis ihr Kavalier schließlich wie ein Wasserteufel am anderen Ufer auftauchte.
Sascha wusste nicht, was größeren Neid in ihm hervorrief – die Kunst, unter Wasser weit zu schwimmen oder dieser freie Umgang mit dem anderen Geschlecht. Das übrigens erschreckte Saschka, es rief eine merkwürdige Mischung aus Verwunderung und Ekel hervor.
Der Vater führte Sascha weiter am Fluss entlang, weg vom Lärm und den ständigen Flüchen, dort hatten sie noch ein anderes Geheimplätzchen – eine von Sträuchern eingewachsene Betonplatte, von der man nicht wusste, wie sie ans Ufer gekommen war. Der untere Teil der Platte ragte in den Fluss. Im
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