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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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spüren. Was Negativ und Wenja betrifft, so war bei ihnen aus unterschiedlichsten Gründen nicht alles ganz so eindeutig.
    Negativ empfand eher etwas wie Ärger, der in soliden, unaufgeregten Groll überging, und dieser Ärger war gegen alle gerichtet, die in seinem Land die Macht repräsentierten – vom Milizionär an der Straßenecke bis zum Herrn Präsidenten.
    Wenja war all das scheißegal, dachte Sascha. Und scheißegal war es ihm vermutlich nicht deshalb, weil sich Wenja nie selbst leid tat. Der Grund war vielmehr – Wenja nahm das Gefängnis absolut gelassen, er war immer darauf gefasst, reinzukommen, wenn er sich auch nicht gerade darum riss. Das ergab, wenn man zusammenrechnet, wie oft Wenja schon fünfzehn Tage bekommen hatte, insgesamt eine ganz schöne Zeit.
    Doch sie schwiegen alle …
    Sie schenkten ein, stießen ein letztes Mal an.
    »Wir haben’s einmal gemacht und werden es wieder machen!«, sagte Sascha, in dessen Worten nicht das geringste Pathos lag. Rogow nickte, Wenja lachte auf, Negativs Gesicht konnte Sascha nicht sehen.
    Sie tranken rasch aus, schnupperten an den Ärmeln und gingen weiter. Rogow sammelte den Müll in einer Plastiktüte und trug ihn zum Abfalleimer.
    Sascha überlegte, wo man noch drei weitere Stunden verbringen konnte.
    Ruhig und gut gelaunt gingen sie zum Gebäude der Universität. Sascha befahl allen, das Außenseiter-Gegrinse abzulegen und die offenen Gesichter von tagtäglichen Besuchern einer höheren Lehranstalt aufzusetzen – entweder von Studenten höherer Semester oder von Doktoranden. So kamen sie auch beim Wärter vorbei, der mit ernster Miene die Lippen zusammengepresst hielt. Rogow, natürlich ruhig, weil er kein Gesicht aufsetzen musste, sondern seines behielt, Negativ, der sich zur Seite gedreht und das Kinn im Jackenkragen verborgen hatte, und Wenja, der durch die Anspannung der Gesichtsmuskeln plötzlich dumm aussah.
    Den Philosophiedozent Aleksej Konstantinowitsch Besletow kannte Sascha schon lange. Die Bekanntschaft zwischen Sascha, der nirgendwo studiert hatte, und dem Dozenten der Geisteswissenschaft war leicht zu erklären: Besletow war ein Schüler seines Vaters.
    Sascha war ungefähr vierzehn, als er den jungen, schmalen Besletow, der damals knapp über zwanzig gewesen war, zum ersten Mal gesehen hatte.
    Besletow hatte sie einige Male besucht, spielte lange mit seinem flauschigen Schal, den er mehrfach um seinen Hals gewunden hatte. Dann wurde Tee getrunken. Der Vater und er besprachen etwas, der Vater ruhig, Besletow zuckte manchmal mit den Schultern, als würden sie unter seinem Hemd abbröckeln. Der Vater achtete nicht darauf.
    Der Vater war überhaupt sehr ruhig, er sprach niemals über Politik, obwohl die wirre oder vielmehr dumme und daher noch widerwärtigere Zeit das durchaus begünstigt hätte.
    Dass Besletow äußerst liberale Ansichten vertrat, erfuhr Sascha erst viel später. Und er war sich bis heute nicht im Klaren darüber, was er davon halten sollte, dass der Vater niemals über »Umbrüche« und »Schicksale« gestritten hatte. Wie ließ sich das erklären? Doch nicht mit Gleichmut …
    Besletow war der einzige von Vaters Freunden und Bekannten, der mit ins Dorf zum Begräbnis gefahren war.
    Während des Begräbnisses gingen Sascha und Besletow zum »Du« über, sahen sich dann aber einige Jahre nicht, und in dieser Zeit verlor sich die kurzfristige Nähe wieder. Ihre Bekanntschaft wurde erneuert, als sich ganz unverhofft herausstellte, dass Saschas Freundin bei Aleksej Konstantinowitsch Philosophie studierte. Sie fragte Sascha, als sie sich einmal nach dem Unterricht vor dem Hörsaal trafen:
    »Kennst Du eigentlich Aleksej Konstantinowitsch, der bei uns Philosophie unterrichtet?«
    Im selben Moment gab Sascha Besletow die Hand und beschloss, wegen dessen zupackendem Händedruck sowie der lehrerhaften Körperhaltung zu vergessen, dass sie per Du waren.
    »Ja, Aleksej Konstantinowitsch und ich … wir sind miteinander bekannt.«
    Einige Male begegneten Sascha und Besletow einander auf dem Gang der Universität und tauschten im Vorbeigehen einen Händedruck aus, bis Sascha sich mit seiner Freundin aus einem banalen und längst vergessenen Grund zerstritt und Besletow abermals für eine Weile aus den Augen verlor.
    Vor kaum mehr als einem Monat gab es eine lokale Veranstaltung des »Sojus« und Sascha traf unmittelbar nach dem Ende der wie immer lautstarken und mit Provokationen gespickten Aktion mit Besletow zusammen.
    »Ich habe

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