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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Akzent.
    »Sascha, sie sind da, um dich rauszuholen!«, dachte er laut vor sich hin.
    Tatsächlich, die Zellentür wurde rasch geöffnet und der Kaukasier hinausgeführt.
    Die Jungs lachten ein wenig über alles. Ein Wort gab das andere – sie erinnerten sich an die Schlägerei; Wenja erzählte belustigt, wie er das lange Metallstück auf der Straße gefunden und damit – wie ein Verrückter die Mücken – alle von sich weggescheucht hatte.
    »Sonst hätten sie dich mit ihren gekrümmten Nasen massakriert …«, feixte plötzlich der melancholische Negativ, für den Scherze absolut untypisch waren.
    »Nein, jetzt überlegen wir mal!« Sascha kehrte noch einmal zu dem Thema zurück, das er noch nicht verdaut hatte. »Haben sie uns für die Schlägerei verhaftet? Aber wo ist …«
    »Das Objekt unseres Rassenhasses«, setzte Rogow im selben Ton fort. Es war natürlich ein Scherz.
    »Ja, wo sind sie?«, fragte Sascha. »Das heißt, wir haben uns gegenseitig verprügelt?«
    »Wenja, warum hast du das Metallteil eigentlich mitten auf der Straße geschwungen?«, interessierte sich Rogow und verfiel in lyrische Ironie. »Wen wolltest du damit erschrecken?«
    »Es hat die vorbeifahrenden Autos behindert, und ich wollte es entsorgen«, antwortete Wenja.
    Sie hätten so bis zum Morgen weiterpalavert, aber die Tür knarrte abermals, zuerst im Schloss, dann in den ungeölten Scharnieren, und der auftauchende Sergeant sagte leise: »Zum Teufel, kommt raus!«
    »Sollen wir das Väterchen da auch wecken?«, fragte Negativ und zeigte auf den Penner.
    »Was ist dir der für ein Vater, dieses Wrack?«
    Der Kerl bewegte sich nicht. Er hatte sich auf den Boden gelegt und schlief. Alle gingen hinaus, der Typ blieb allein in der Zelle zurück.
    Die Jungs standen unsicher im Vorraum der Milizstation herum.
    »Ich würde diese schwarzarschigen Wanzen selbst verprügeln …«, sagte der Sergeant und öffnete die Tür zur Straße.
    »Wir haben sie nicht geschlagen …«, sagte Sascha, »sie haben selbst …«
    »Ja, klar, nicht geschlagen«, lachte der Sergeant und erhob plötzlich, wenn auch mit freundlicher Intonation, die Stimme. »Einem von denen wurde das halbe Gesicht wie eine Tomate zermatscht … Aber sie haben keine Anzeige gegen euch erstattet. Und es gibt auch keine Meldung wegen euch. Verschwindet. Ihr Kämpfer …«
    Sascha war der familiäre Ton des Milizionärs unangenehm, auch dessen Überzeugung, dass die Jungs die Schlägerei begonnen hätten. Und außerdem war es irgendwie abstoßend, dass der Milizionär offenbar dachte, die Jungs könnten mit ihm einer Meinung sein – in Bezug auf jene, die er als »schwarzarschig« bezeichnete. Nur waren sie darin ganz und gar nicht einer Meinung …
    Auf der Straße stand das Milizauto mit den Typen vom Patrouillendienst, die Sascha verhaftet hatten. Kaum waren die Jungs rausgegangen, ging im Auto das Licht aus.
    »Ich glaub’s nicht, dass die da gerade Geld zählen …«, sagte Wenja.
    Sie streckten sich und rieben ihre Glieder und machten sich dann auf den Weg. Sie beschlossen, bei Sascha zu übernachten.
    »Und wenn sie uns abfangen, San?«, fragte Negativ.
    »Wie?«, fragte Sascha nach, er zitterte vor Kälte. »Sie haben uns doch eben erst laufen lassen.«
    »Ich meine es ernst.«
    »Sie werden uns nicht abfangen. Irgendwo müssen wir übernachten. Richtig, Jungs?«
    »Natürlich müssen wir irgendwo übernachten«, bestätigte Rogow.
    »Und fressen will ich jetzt auch was …«, sagte Wenja.

Kapitel 4
    In diesem Winter bestellten sie einen kleinen Autobus – die Mutter hatte beschlossen, der Vater müsste auf dem Dorf begraben werden. Dort, wo er geboren worden war.
    Sascha widersprach nicht.
    »Was meinst du, Söhnchen?«, fragte die Mutter in einem vollkommen neuen Ton. Bis jetzt war ein anderer Mensch an ihrer Seite gewesen, dessen Stimme alles entschieden hatte. Und jetzt war er gestorben, dieser Mensch.
    »Irgendwie werden wir durchkommen«, antwortete Sascha, obwohl er fast überzeugt war, dass es nicht gelingen würde, durchzukommen.
    In dieser ekelhaften Stadt, die Sascha immer widerwärtig gewesen war, durfte der Vater jedenfalls nicht begraben werden.
    Überhaupt war es unerträglich, den Großeltern mitzuteilen, dass der Vater gestorben war, und dabei zu wissen, dass sie nicht nur nicht zum Begräbnis fahren, sondern überhaupt erst im Frühjahr zum Grab des Sohnes kommen könnten.
    Dem Fahrer erklärten sie nichts Genaues, hätte er gewusst, wohin die Reise

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