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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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zusammengestoßen. Die Passagiere standen an der Straße. Der Asphalt war mit Glas übersät.
    »Rettung ist keine zu sehen«, bemerkte Sascha.
    Es gab keine Opfer, und offenbar war auch niemand verletzt. Sascha bedauerte fast, dass niemand ums Leben gekommen war.
    Langsam, schleppend arbeiteten sie sich aus dem Strom der Fahrzeuge heraus.
    Ein höherer Gang wurde eingelegt, sie gewannen an Geschwindigkeit, und wieder entstand dieses dumme Gefühl der Erleichterung – wir fahren endlich, wir fahren.
    »Wohin?«
    … Eine winterliche Straße ist immer trübseliger als eine im Sommer.
    Sie fuhren durch eine kleine Stadt, in der es nur zwei Ampeln gab. Sascha sagte: »Weiter geradeaus«, und nach sieben Minuten öffnete sich auf beiden Seiten der Chaussee die Ebene.
    Der Anblick des weißen, bis zum Horizont reichenden Feldes war bedrückend. Diese Ferne und Leere – mit nur einer Linie von Telegrafenmasten an der Straße – sog einen regelrecht auf.
    »Menschenleere«, flüsterte Sascha leise. »Auf die Menschenleere … Eis und Schnee …«
    Manchmal schaute Sascha auf die Uhr und bemerkte schließlich, dass schon eine Stunde vergangen war, er während dieser Zeit aber an gar nichts gedacht, keinen einzigen Gedanken gehabt hatte.
    »Sind wir bald da?«, fragte der Fahrer, übrigens völlig gleichgültig.
    »Bald«, antwortete Sascha nach einiger Überlegung.
    Das letzte Dorf an der Asphaltstraße leuchtete mit seinen grauen Seitenwänden aus feuchtem Holz auf – neun Häuser. Sascha hatte sie schon vor langer Zeit gezählt, wohl in der Kindheit. In den letzten Jahren waren drei Häuser verwaist, sie begannen einzustürzen.
    »Auf der Dorfstraße weiter?«, fragte der Fahrer verblüfft.
    Sascha nickte.
    »Wir könnten aufsitzen …«, lamentierte der Fahrer, schaltete in den zweiten Gang herunter. Der Bus heulte auf und begann in den Furchen hin und her zu schaukeln.
    Sascha drehte sich zum Rücksitz: Die Mutter blickte sich fast erschrocken um.
    »Ist es von hier noch weit?«, fragte der Fahrer von Neuem, als sie durch das nächste Dorf fuhren. Nur in der Ortschaft konnte er in den dritten Gang schalten und ein wenig Gas geben.
    »Ein Dorf noch, und das danach ist unseres«, antwortete Sascha ganz ehrlich, verschwieg aber, dass es vom »nächsten« bis zu »unserem« siebzehn Kilometer durch den Wald ging.
    »Gott sei Dank sind die Wege von den Schlitten ein wenig ausgefahren«, meinte der Fahrer erstaunt. »Sie fahren noch immer mit Schlitten. Das heißt, es gibt ein Pferd. Seit dreißig Jahren habe ich keine Pferde mehr gesehen … Und dabei hört man immer: Wir leben schlecht!« schloss der Fahrer und lächelte schief.
    »Dich Hundsfott sollte man hier gemeinsam mit einem Pferd aussetzen …«, dachte Sascha.
    Sie fuhren noch durch ein weiteres Dorf – hier trafen sie während der letzten zwei Stunden erstmals auf einen Menschen, einen Opa im Schafspelz. Der sah dem Autobus verwundert nach. Er winkte sogar mit der Hand, als der Bus vorbeifuhr, als wollte er sagen: Wohin wollt ihr denn, ihr Idioten – da geht’s nirgendwohin.
    »Wald!«, sagte der Fahrer nach einer halben Stunde, als er sah, wohin der Weg führte. Als wollte er seinen Augen nicht trauen.
    »Ja, Wald«, antwortete Sascha.
    »Müssen wir etwa in den Wald?«, sagte der Fahrer sichtlich genervt.
    »Wir fahren auf dem Weg«, antwortete Sascha.
    Der Fahrer schüttelte den Kopf, zog ein schiefes Gesicht.
    Sascha atmete tief durch.
    Der Bus dröhnte laut. Rundherum standen die Bäume unter schwerer Schneelast, von den in ihrer Reglosigkeit gestörten Zweigen bröckelte manchmal Schnee herunter.
    Auf dem Weg war tatsächlich jemand mit einem Schlitten gefahren. Vielleicht auch mit einem Traktor, vielleicht vor zwei Wochen. Mit Lebensmitteln, der Pension – ins Dorf …
    Aber der Bus war diesem Weg wohl nicht gewachsen. Noch dazu, weil der Weg immer schmaler wurde – vermutlich war hier jemand mit dem Schlitten gefahren, um Holz zu holen, aber nicht einmal der war tiefer in den Wald hinein gekommen.
    Vier Minuten später konnte der Fahrer nicht mehr an sich halten und begann zu schimpfen.
    Sascha blieb gleichgültig, wusste aber, er hätte diesen Typ umbringen können. Nur wollte er der Mutter keinen Kummer bereiten.
    »Wer wird uns hier herausziehen? Habt ihr daran gedacht?« Der Fahrer riss an den Hebeln, beschleunigte, wo es ging, aber auch dort, wo das eigentlich nicht möglich war. Fahren konnte er. »Sind die vor Trauer völlig

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