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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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kann in drei Minuten.«
    Sascha überlegte. Er wollte nach Hause gehen. Möglicherweise, um die Mutter zu sehen. Er wollte noch nicht so früh aufbrechen. Morgen, er würde gerne morgen früh.
    »Und wozu nach Hause gehen? Die Mutter um die letzten Nerven bringen?«
    Sascha blickte auf die Uhr.
    »Wenn wir zu Fuß zum Bahnhof gehen, kommen wir noch locker rechtzeitig zum Zwei-Uhr-Zug«, dachte Sascha und wiederholte seinen Gedanken laut. Negativ nickte.
    Drei Minuten und eine paar Zerquetschte später kam Negativ mit Posik heraus. Posik war ungewohnt ernst.
    »Der Mutter sagst du, dass ich nach Moskau zum Geldverdienen gefahren bin«, sagte Negativ.
    »Und in Wirklichkeit?« Posik verdrehte ungläubig die Augen.
    »In Wirklichkeit fahre ich nach Petersburg zum Geldverdienen … Hast du alles verstanden? Du lernst etwas – erstens. Du rauchst nicht – zweitens. Gießt die Pflanzen – das zum Dritten. Wenn du meine Pflanzen umbringst, schneide ich dir die Ohren ab, wenn ich zurückkomme.«
    »In Ordnung, ich habe alles verstanden. Menschen können auch ohne Ohren leben.«
    »Ganz genau, du sollst dich wie ein normaler Mensch aufführen.«
    Sie sprachen sehr ernst, nicht einmal in den Augen hatten sie ein Lächeln, auch Sascha wollte nicht lächeln.
    »Los, Posik, du gehst jetzt nicht weiter mit. Geh nach Hause!« Negativ schüttelte dem Brüderchen die Hand, klopfte ihm auf die Schulter und marschierte, nachdem er sich abrupt umgedreht hatte, mit leichtem und festem Schritt los.
    Auch Sascha gab Posik die Hand, und der schüttelte sie, ohne Sascha anzuschauen, und blickte auf den Rücken des älteren Bruders. Sascha drehte sich um und holte Negativ im Laufschritt ein.
    »Jetzt setze ich mich wieder in den Zug. Was hab ich jetzt schon an Kilometern abgerissen …«
    »Wahrscheinlich hab ich in einer Woche so viele Kilometer zurückgelegt, dass ich durch ganz Europa hin und zurückgefahren bin …«, sagte Sascha zu Negativ. Einfach um nur irgendetwas zu sagen.
    Negativ antwortete nicht.
    »Nach Moskau, wie in die Bäckerei …«, sagte Sascha gleichsam zu sich selbst. »Ich erinnere mich nicht, wie viel Mal in einer Woche. Ich hab schon alles Geld verfahren.«
    »Ich habe Posiks Sparbüchse geleert«, antwortete Negativ, »er hat auf eine Jacke und Stiefel gespart.«
    »Wir lassen uns was einfallen, Nega. Für Posik finden wir schon Geld.«
    Sascha wollte Negativ die Hand auf die Schulter legen, überlegte es sich aber anders. Er streckte die Hand ein wenig aus – zuckte aber sofort zurück. Negativ bemerkte es.
    Sascha schloss es aus dem veränderten Tonfall in dem der Freund schwieg. Von diesem Schweigen ging Missmut aus.
    »Du sollst mich nicht bemitleiden, sonst beginne ich mich selbst zu bedauern«, sagte Negativ und schwieg weiter.
    Negativs Stimme klang dabei so, dass man nur mit Mühe glauben konnte, er könnte sich ernsthaft und voller Gefühl selbst bedauern. Es war Negativs normale Stimme.
    Auf dem Bahnhof wurden sie von den aufdringlichen Blicken zweier Milizionäre empfangen. Sie hielten sie an, verlangten nach dem Ausweis. Den Pass schauten sie lange an, blickten auf, um Foto und Original zu vergleichen, dachten aber dabei ganz offenbar an etwas anderes.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte einer von ihnen ungeduldig, in jenem Ton, in dem die Miliz in ganz Russland spricht, als wäre jeder von ihnen Angehaltene schon ein Verbrecher.
    »Das geht dich einen Dreck an, Bastard«, hätte Sascha gerne geantwortet.
    »Ich hatte plötzlich Sehnsucht nach der Großmutter, da habe ich mich einfach auf den Weg gemacht«, sagte Sascha. »Mit dem Freund.«
    Der Milizionär schaute Sascha ganz unverhohlen an, das Gesicht des Ordnungshüters war undurchdringlich und, nebenbei, ganz und gar nicht stumpfsinnig. Er verzog einfach keine Miene, das war alles. Er gab Sascha den Pass und wandte sich ab. Der Zweite tat dasselbe und gab Negativ seinen Ausweis zurück.
    Sie kauften die Fahrkarten. Auf dem Bahnsteig rauchten sie eine. Rauchten noch eine. Sie rauchten lange und schwiegen. Klar, Negativ schwieg oft. Das hatte nichts zu bedeuten.
    »Wie ist es mit Moskau?«, fragte er schließlich. Die Rede war – natürlich – von der Partei.
    Sascha erzählte.
    Im Zug legten sie sich auf die oberen Betten, für die sie sich schon beim Kauf der Karten entschieden hatten. Bettzeug nahmen sie sich natürlich keines. Es war auch so gut. Negativ drehte sich um, döste offenbar sofort ein.
    Sascha schlief nicht. Er lag mit

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