Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
Vom Netzwerk:
kamen die Motive vieler menschlicher Handlungen sonderbar, dumm, oder unpassend vor, am allerhäufigsten aber primitiv. Aber Sascha hatte sich daran gewöhnt, sein Erstaunen und seine Aufregung nicht auszudrücken, und von den Menschen nicht viel zu erwarten.
    Er war in Maßen ruhig und ebenso maßvoll aggressiv, unsentimental und auch nicht verwöhnt.
    »Ich überlebe im Gefängnis«, sagte sich Sascha ruhig.
    Während er zu Negativs Wohnung hinaufging, beschloss er, mit Matwej zu sprechen, der jetzt in der Partei Kostenko vertrat, und ihm vorzuschlagen, dass trotzdem er, Sascha, fahren würde. Matwej weiß wahrscheinlich, was geplant ist. Soll Matwej entscheiden.
    Sascha klingelte an der Tür. Obwohl das Haus abbruchreif war, alt und heruntergekommen, und dort nur Trinker und solche wohnten, denen alles egal war, gab es bei Negativ eine massive Tür und die Klingel funktionierte. In der Wohnung selbst herrschte natürlich Armut, Sascha wusste das, die reinste Armut.
    »Wer ist da?«, fragte eine jugendliche Stimme.
    »Positiv« – Saschka erkannte Negativs jüngeren Bruder an der Stimme. Ein übermütiger Spaßvogel, seinen Spitznamen hatte er als Gegengewicht zu jenem des älteren Bruders erhalten. Die »Sojusniki« nannten ihn Posik.
    »Ich. Tischin.«
    Die Tür öffnete sich und Sascha sah ein durchtriebenes Grinsen.
    »Allach akbar«, begrüßte Posik Saschka.
    »Hallo, Posik. Ist Negativ zu Hause? Kann ich reinkommen?«
    Sascha zog die Schuhe aus, blickte ins andere Zimmer, er sah niemanden.
    »Und die Mutter?«, fragte Sascha warum auch immer flüsternd.
    »Ist in der Nachtschicht«, antwortete Posik. »Er ist im zweiten Zimmer. Geh.«
    Negativ war gerade beim Blumengießen.
    Sascha wusste um die Liebe des düsteren Negativ zu Blumen, dennoch war er jedes Mal darüber erstaunt. Er hatte viele Blumen, sie standen in Töpfen in beiden Zimmern herum, ebenso auf dem Balkon. Alle Blumen wuchsen üppig. Jene, die gerade blühen sollten, blühten zur richtigen Zeit, und wenn es zu einer Verzögerung kam, so dann nur deshalb, weil Posik, wenn er den Bruder ärgern wollte, regelmäßig irgendeine Blume mit Shampoo, vermischt mit Urin, Essig, Schnaps oder anderem, übergoss.
    An die richtigen Namen der Blumen, auch die lateinischen, erinnerte sich Negativ nicht – genauer gesagt, er hatte sie nie gewusst, weshalb er für sie Spitznamen hatte, die ihnen sein kleiner, weitaus erfindungsreicherer Bruder gegeben hatte.
    Negativ goss also die Pflanzen, war er damit fertig, drückte er vorsichtig mit zwei Fingern die dicken oder dünnen, grünen oder borstigen Tatzen der Pflanzen und murmelte dabei etwas.
    »Hallo, Negativ! Züchtest du noch immer Gras?« Sascha versuchte mit einem Scherz die Intimität der Situation zu überspielen.
    Negativ drehte sich um, wie üblich düster. Er antwortete nichts und goss weiter, noch immer schweigend.
    Sascha setzte sich auf den Diwan. Negativs Anblick erfreute ihn immer. Negativ war zuverlässig wie ein Pflasterstein. Allerdings konnte Sascha jetzt gar nichts erfreuen. Er betrachtete Negativs wuchtiges Genick, fast bedauerte er ihn schon.
    »Es gibt was zu besprechen«, sagte Sascha.
    »Was Ernsthaftes?«
    »Ja.«
    »Und wozu hast du dich gesetzt? Willst du etwa hier reden?«
    Sie nahmen schnell ihre Sachen und gingen auf die Straße. Posik wollte sich ihnen anschließen, aber Negativ ließ ihn abblitzen – mit leiser Stimme und einigen deutlichen und derben Flüchen.
    »Wo seid ihr alle hingekommen?«, fragte Negativ, und er meinte damit, so verstand es Sascha, Rogow und Wenja.
    »Sie sind in die eine Richtung weggefahren, ich in die andere. Ich war in Moskau. Dort suchen sie jemand für ein Ding. Wegen dieser Sache kann man eingebuchtet werden. Sie werden das sogar höchstwahrscheinlich tun. Außerdem schaut es so aus, als solle es nicht hier steigen. Nicht in Russland«, sagte Sascha sofort, um das Ganze nicht hinauszuzögern, und er zwang sich, zumindest nicht überstürzt zu sprechen.
    »Na endlich«, sagte Negativ bloß.
    Er hielt in der Hand einen kleinen Ast und ein Federmesser. Mit dem Messer säuberte er den Zweig, mit schnellen und genauen Bewegungen. Sascha bemerkte, dass der Zweig vertrocknet war, schon vor Langem abgebrochen, vom Boden aufgehoben. Negativ würde keinen Zweig von einem lebenden Baum abbrechen.
    »Was heißt – ›na endlich‹?«, fragte Sascha.
    »Endlich haben sie beschlossen, was Ernstes zu machen. Wann fahren wir?«
    »Wann kannst du?«
    »Ich

Weitere Kostenlose Bücher