Sankya
du jemanden?«
»Der Schamane, der Löter, der Braune … der Fernfahrer … Oleschka der Sondereinheitler?« Sascha ließ die abgefahrensten seiner Jungs im Geist vorüberziehen.
»Negativ«, entschied er.
«Passt.«
»Kann er auch weiter weg fahren? Für längere Zeit?«
»Das geht. Wie lang?«
»Wenn sie ihn hopsnehmen – und sie werden ihn hopsnehmen –, wird er höchstwahrscheinlich … sitzen. Ein Jahr, oder zwei, ich weiß nicht … Es ist nicht in Russland.«
Sascha schwieg.
»Also?« Jana wandte ihm ihr strenges Gesicht zu.
»Ich frage ihn.«
«Nicht am Telefon.«
»Wann soll ich denn?«
»Gestern.«
»Dann muss ich wohl nach Hause fahren«, sagte Sascha nachdrücklich, nicht als Frage. »Ich fahre. Heute.«
»Gut«, sagte Jana. »Ich bin im Bunker. Brauchst du dort etwas?«
»Nein«, antwortete Sascha, der seit dem Morgen zum wiederholten Male Jana höchst interessiert anschaute, oder genauer – die Veränderungen ihrer Stimmung verfolgte.
Er sagte absichtlich, dass er nichts brauche. Er wollte nicht mit ihr fahren, weil sie wieder sehr distanziert war. Alles an ihr gab ihm zu verstehen: »Es war nichts. Gib dem keine Bedeutung.«
Sascha paffte und schüttelte den Kopf, als würde er etwas Aufdringliches, Lästiges abschütteln.
»Gehen wir zur Metro?«, fragte Jana. »Du musst doch zur Metro?«
Sascha stand auf, warf die Zigarette weg – er rauchte nicht gerne im Gehen.
In der Metro trennten sie sich rasch. Sascha konnte sich nicht zurückhalten und drückte sich ans Fenster der Waggontür – er versuchte zu sehen, wo Jana war – vielleicht schaute sie ihm auch nach.
»Und winkt dir mit der Hand …«, spottete Sascha über sich selbst.
Jana sah er nicht mehr. Der Zug raste in den Tunnel und Sascha sah sein Spiegelbild, die dunklen Haare, den verwischten, unklaren Blick, die Bartstoppeln, die aus irgendeinem Grund grau wirkten, mit tatsächlich vielen grauen Härchen.
Am Bahnhof trank er ein Bier, obwohl er Wodka wollte, und rauchte, während er auf den Zug wartete, mehrere Zigaretten.
Im Zug richtete er sich auf der oberen Liege ein, und schlief – mitten am Tag – ganz leicht ein, und schlief, ohne etwas zu träumen. Nur einmal weckte ihn die Schaffnerin – er öffnete die Augen, reichte ihr Pass und Fahrkarte. Um ihm eine Minute später seine Dokumente zurückzugeben, musste sie Sascha abermals aufwecken.
Er kam spät abends in seine Stadt, die Straßenbahnen fuhren aber noch. Er fuhr gerne mit der Tram, sie hatte Charme, anders als die Busse, die die Seele bedrückten; sie strahlte eine gewisse gewichtige Langsamkeit aus, wenn sie den Hügel hinauffuhr, und etwas Fröhliches, mit dem Gefühl der Selbstachtung, wenn sie scheppernd bergab ratterte.
Sascha ging zu Negativ.
Es kam ihm so vor, als wäre Jana irgendwo in der Nähe, Sascha schaute sich nach den wenigen Mädchen auf der Straße um, einige Male berührte und streichelte er mit dem Daumen den Ballen des Zeige- und des Mittelfingers, als versuchte er sich zu erinnern, in seinen Händen den Eindruck ihrer Haut wieder zu beleben. Es gelang nicht. Finger, nur Finger.
»Sie braucht mich nicht«, wurde Sascha plötzlich klar und er hörte in sich hinein. Im Inneren war es still. Und bitter, ja. Doch diese Bitterkeit war süßlich, wie Reste einer Medizin, die am Boden des Glases zurückbleibt.
In der Magengrube verspürte er ein unbestimmtes quälendes Brennen.
»Jana … Du bist mein Herzensgeflecht«, sagte Sascha, verstand aber selbst kaum, was er damit meinte.
»Warum bist du so?«, fragte er sie.
»Du fährst zu Negativ«, wies er sich selbst zurecht. Er zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß. Ich fahre.«
»Sie können Negativ einbuchten.«
»Ich weiß. Das können sie.«
Sascha wusste, dass Negativ einwilligen würde. Negativ war schon seit Langem gierig darauf, irgendein Ding zu drehen, was Böses durchzuziehen.
Wer, wenn nicht Negativ, war frei von aller jugendlichen, nicht immer vernünftigen Romantik, und wer hätte sich besser als alle anderen vorstellen können (wovon Sascha überzeugt war), was das ist – nun, sagen wir –, die Unfreiheit. Wir nennen es auch noch – die Freiheitsberaubung.
Auch Sascha hatte keine Angst vor dem Gefängnis – zumindest vermutete er das.
Menschen gab es überall, überall lebten Menschen, und Sascha fand mit ihnen immer eine gemeinsame Sprache, auch wenn er sie mitunter nicht verstand. Im Übrigen, »verstand nicht« ist nicht ganz richtig. Ihm
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