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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Fotografen gleichzeitig, unsichtbar hinter den Blitzgeräten ihrer Kameras. Diese Blitze rissen ihn drei oder vier Mal heftig und schmerzvoll aus dem Schwarzen und Großen, das ihn zu verschlingen drohte, zurück. Jeder Blitz erleuchtete seine geweiteten Pupillen und den geöffneten roten Mund, in dem ein Schrei brodelte, herumirrte und nach außen brach.
    Sie wollten offenbar den Moment seines Unterganges festhalten. Doch die letzen Blitze erwiesen sich als schwach, verwischt, als würde er durch Nebel fotografiert …
    Und alles ging unter.

Kapitel 8
    Oder fing es eben erst an?
    Spät abends kam er zu sich. Vielleicht eine Stunde später, vielleicht zwei. Unter dem Bauch war es feucht.
    Zuerst dachte er: »Ich bin nicht gestorben.«
    Dann dachte er: »Ich sterbe nicht.«
    Er erinnerte sich: »Wozu haben sie mich fotografiert?«
    Und plötzlich kapierte er: Niemand hatte ihn fotografiert. Es war ihm nur so vorgekommen.
    Er versuchte, aufzustehen. Merkwürdig, die Hände funktionierten. Aber es gelang ihm nicht, sich aufzurappeln.
    »Und was funktioniert bei uns da nicht?« Sascha begann laut mit sich zu sprechen, er grummelte nicht besonders laut – und wie es ihm schien – gutmütig herum.
    Die blutüberströmte Brust schmerzte heftig, knapp unter der Brustwarze. Und vom Scheitel floss etwas auf die Stirn. Und das Bein, da haute etwas ganz und gar nicht hin.
    Es gelang ihm nicht, aufzustehen.
    Sascha kroch herum.
    Er bemerkte, dass er ohne Hosen dahinkroch. Aber sie hatten sie nicht ausgezogen – sie war nur hinuntergeschoben.
    Er versuchte, sich zu krümmen, den Riemen zu erfassen, zu sich heraufzuziehen – fast wäre er vor Schmerz ohnmächtig geworden.
    Er ruhte sich aus, begann sich langsam zu drehen, leise, millimeterweise, um wenigstens mit einem Finger bis zu den Jeans zu gelangen.
    Es gelang nicht. Er strampelte mit den Beinen, stöhnte. Schließlich verstand er, dass es einfacher wäre, wenn er sich nicht nach rechts, wo die Brust aufgeschnitten war, sondern auf die andere Seite drehte. Es tat weh, aber nicht allzu sehr. Mit dem Daumen erwischte er den Gürtel, lange zog er daran, dabei brüllte er.
    Irgendwie gelang es ihm, sich anzuziehen. Er kroch weiter.
    Mit den Händen und einem Bein zog er sich voran. Sehr schmerzhaft war es, wenn er mit der Brust den Boden berührte, da lagen allerlei Zweige und Zapfen herum. Manchmal schrie er ganz ungeniert aus nackter Qual auf.
    Er legte sich auf den Rücken, versuchte das Hemd zuzuknöpfen. Die Finger waren zertrümmert, ließen sich kaum bewegen. Damit kannst du keinen Knopf anfassen. Ja und diesen Knopf überhaupt erst finden. Irgendwie gelang es ihm, das Hemd über der Brust zu schließen.
    Und die Jacke war auch noch irgendwo. Haben sie wahrscheinlich mitgehen lassen. Sie liegt dort irgendwo …
    Solange es noch hell war, kroch Sascha den vermutlich von Pilzsammlern benutzten Weg entlang. Er kroch in einer der Fahrrillen – manchmal legte er die Brust auf den Boden, und in diesen Momenten ließen die Schmerzen nach.
    Er versuchte zu schreien, doch fast hätte er dabei das Bewusstsein verloren, er stieß nur leise Japser aus, ganz leicht; hatten sie ihn mit dem »Röschen« aufgeschnitten?
    Einige Male legte er sich hin und ruhte sich aus, nicht lange, aus Angst, einzuschlafen.
    Einmal dreht er sich auf den Rücken und schaute in den Himmel. Voller Erstaunen stellte er fest, dass die Sterne ein Geräusch machten. Er hörte es ganz deutlich, als wären es Baumkronen. Sie schwankten und flackerten langsam.
    Er kroch weiter.
    »Ich werde nicht wie ein Hund verrecken«, sagte er sich immer wieder. Dann ließ er sich einen anderen Satz einfallen und wiederholte den.
    »Ich habe niemanden verraten«, sagte Sascha, als er eine letzte, schon aus der Ferne entdeckte Auffahrt hinaufrutschte, die zur Asphaltstraße führte, und auf der Straße fuhren wunderbare, warme Autos.
    Als er auf dem Asphalt saß und sinnlos mit der Hand herumfuchtelte, wurde ihm voller Schreck klar, dass niemand je anhalten würde, wenn man im Licht der Scheinwerfer seine entsetzlich blutige Visage und die zerrissene Kleidung sah.
    Noch größer wurde die Angst, als sich im Inneren seines Bauches Kälte ausbreitete und der Kopf sich zu drehen begann; ihm wurde klar – würde er ohnmächtig, dann würde er nicht überleben, nicht mehr aufwachen.
    Er kroch direkt auf die Straße, in die Mitte. Irgendjemand blieb stehen.
    Und erst danach tauchte die Decke der Aufnahmestation auf.

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