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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Körper –, und dabei eine Million Mal kleiner ist als ein Atom, dann wird alles so aussehen, wie der lärmende und warme Himmel über unserem Kopf.
    Und genau so leben wir im Inneren einer schrecklichen, für uns geheimnisvollen, uns erschreckenden Leere. Aber all das ist nicht so schrecklich – in Wirklichkeit sind wir zu Hause, wir sind im Inneren dessen, was unser Bild und Ebenbild ist.
    Und alles, was in unserem Inneren geschieht, jeder Schmerz, den wir erleiden und den wir irgendjemandem zufügen, steht in Bezug zu dem, was uns umgibt. Und jeder wird bestraft, und jeder belohnt, und nichts ist zu überstürzen, und alles ist einfach und leicht.
    Sascha öffnete die Augen und überzeugte sich davon, dass alles genau so war. Neben seinem Bett war ein Nachttisch. Gegenüber stand noch ein anderes Bett. Auf dem Bett saß ein Mensch und aß einen Apfel.
    Der Mensch sah, dass Sascha die Augen öffnete, und winkte ihm zu, als säße er auf dem anderen Ufer und es wäre sinnlos zu sprechen – es wäre kaum zu hören.
    Sascha zwinkerte als Begrüßung.
    Nein, trotz allem, der Körper schmerzte noch immer, er verstand das, als er zwinkerte und damit einige Gesichtsmuskeln
bewegte. Und der erste, kleinste Schmerz schickte dem ganzen Körper ein Signal, und er breitete sich flächendeckend aus – beschwerlich und dumpf …
    Sascha lag da und hörte in sich hinein: Alles brodelte und zerfiel, als würde in das Innere seines Körpers ein eiserner Schöpflöffel gesenkt, alle Organe durcheinander gerührt, und jetzt hingen sie irgendwo herum, ohne ihren richtigen Platz zu finden.
    In der Ecke sah er eine Krücke, die offenbar nicht dem Nachbarn gehörte – dieser bewegte sich auf seinen eigenen Beinen, und zwar höchst lebendig – bei dem lief offenbar alles auf Besserung hinaus.
    Sascha bat, ihm die Krücken zu bringen.
    »Soll ich helfen?«, fragte der Nachbar.
    »Danke sehr«, antwortete Sascha, der abermals spürte, dass der Buchstabe »s« neben dem ausgesprochenen Wort vorbei pfiff, einfach aus ihm herausfiel.
    Der Nachbar stand neben dem Bett, und verstand nicht: »danke – ja«, oder »danke – nein«?
    Sascha drückte die Augen zu, er verstand, dass es ihn jetzt sehr schmerzen würde, unerträglich.
    »Ich heiße Ljowa«, sagte der Nachbar, »ruf mich einfach, wenn etwas ist«, und ging weg.
    Sascha öffnete die Augen, schaute flüchtig zu Ljowa und bemerkte, dass dieser einer jener selten anzutreffenden prächtigen Juden war: schwarzes, üppiges Haar, füllig, ein wenig zu fest, mit markanten Gesichtszügen; er bewegte sich schnell und dachte – offenkundig – ebenso schnell, und er hatte viele Antworten auf sehr viele Fragen, auf eine unendliche Anzahl von ihnen.
    »Womit könnte ich mich zuerst bewegen?«, überlegte Sascha, mit den Fingern die Beine abtastend, einmal spannte er diesen Muskel an, dann jenen – sie taten alle weh.
    »Auf die Seite drehen? Die Beine vom Bett runterlassen?«
    Er begann, alles gleichzeitig zu machen und stöhnte, er konnte sich nicht beherrschen. Ljowa sprang hinzu, hielt Sascha an der Schulter, zog ihn behutsam nach oben.
    Sascha hätte beinahe geweint, so sehr schmerzte sein ganzer Körper.
    »Herrgott, ist an mir auch nur irgendetwas nicht zerschlagen worden?«, fragte er, und gab sich Mühe, zu grinsen.
    Ljowa blinzelte immer wieder, er wusste nicht, wie er noch helfen oder nützlich sein konnte. Er hielt ihm die Krücken hin.
    »Soll ich helfen?«, fragte er abermals.
    »Nein, nein.«
    Sascha, der bei jedem Schritt innehielt und sich krümmte, wankte zum Klo.
    Er kam zurück, als wäre er nochmal verprügelt worden – gehen, sich setzen und aufstehen gelang ihm nur mit enormer Anstrengung. Auf dem Weg schimpfte die Pflegerin mit ihm – sie sagte, sie hätten ihm eine Bettpfanne gebracht. Sascha schleppte sich mit der Krücke an ihr vorbei, schweigend, er war nahe daran, zu weinen, fast hasste er seine Hilflosigkeit.
    Er streckte sich auf dem Bett aus, stöhnte, und lag dann – die Lippen zusammengepresst – stumm da; manchmal stocherte er mit der Zunge in jenem Zwischenraum – dort, wo der Schneidezahn gestern ausgeschlagen worden war; wann er genau ausgeschlagen wurde, daran erinnerte sich Sascha nicht, er wollte sich auch nicht erinnern.
    »Vielleicht kommen sie zurück, um mich fertig zu machen?«, dachte er kraftlos. »Na und, sollen sie zurückkommen …«
    Er blieb liegen und entschied: »Du bist ein Dummkopf, Sascha. Wer kommt schon ins

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