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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Dunkel, fast ununterscheidbar – weil es im Gang dunkel war.
    Sascha schaute zur Decke.
    Nachts, vermutlich war es in derselben Nacht, transportierten sie ihn in einem Gitterbett, schoben ihn über den Korridor. Eine Pflegerin wusch seinen Körper mit warmem Wasser.
    Er wurde irgendwohin umgebettet, sie machten eine Röntgenaufnahme, drehten ihn um, drehten ihn noch mal um, er stöhnte.
    Dann kamen sie in einen fast leeren Raum, in dem zwei Ärzte herumgingen, kräftige Muschiki in blauen Mänteln.
    Ohne Sascha irgendetwas zu fragen, legten sie ihn in ein fahrbares Bett. Zerschnitten Binden, öffneten die Wunde an der Brust.
    Er wusste nicht, was sie machten – aber es kam ihm vor, als würden sie ein Röhrchen in die Brust, zwischen die Rippen, wozu auch immer, einsetzen. Es kam ihm auch so vor, als würde die Haut an den Rändern der Wunde mit speziellen Instrumenten angefasst und zur Seite gezogen, um ins Innere seines Körpers zu schauen, ob sich darin nicht noch etwas Interessantes befände.
    Es tat sogar mehr weh als die Folter. Sascha heulte abermals auf, aber er wehrte sich nicht, behinderte die Ärzte nicht bei der Arbeit.
    Es schien, als wäre der Körper im Inneren fast leer, wie eine Puppe. Leer, aber schmerzempfindlich und sehr heiß, und man durfte dort nicht hineinschauen, und man durfte auch keine dünnen, metallenen Gegenstände einführen, das ist unmenschlich.
    Er brüllte und brüllte, solange das gemacht wurde.
    Dann sagte einer der Ärzte halblaut: »Was schreist du? Wir tun ja gar nichts mehr?«
    »Entschuldigen Sie«, antwortete Sascha plötzlich mit kräftiger Stimme und schwieg. Tatsächlich, sie taten nichts mehr.
    Die Ärzte traten ruhig vom Bett zurück, in dem, wie nach einem wüsten Ausbruch, Sascha ruhig dalag.
    »Hast dich mit wem geprügelt, oder?«, fragte einer der Ärzte.
    Sascha dachte schnell nach und sagte: »Eine Prügelei.«
    Es machte keinen Unterschied, da war nichts zu sagen.
    Die Ärzte gaben sich die Hände und gingen. Eine Krankenschwester blieb, sie war alt, ruhig und unscheinbar, wie eine gute Fee.
    »Haben sie bei mir etwas gefunden?«, fragte Sascha. »Werden sie operieren? Ist noch Glas in mir?«
    »Sie haben nichts gefunden. Sie haben genäht, das war alles. Es wird keine Operation geben«, antwortete sie.
    Sascha glaubte es.
    »Und mein Bein werden sie nicht eingipsen?«
    »Wozu soll man es eingipsen? Es ist einfach eine Prellung. Du bist überhaupt von oben bis unten blau. Sie haben vermutlich lange geschlagen.«
    Sie fragte nichts – Sascha wunderte sich darüber.
    Er wurde ins Krankenzimmer gebracht. Noch irgendwer kam … sie verlangten, Angehörige anzurufen … er antwortete, er sei ein Waise … und der Buchstabe »s«, der dabei durch die Zahnlücke davonflog, betonte dieses Verwaist-Sein noch …
    Ein Arzt war noch da … oder zwei Ärzte … sie bewegten die Hände … drückten auf den Bauch … setzten eine Infusion … Sascha schlief ein.
    Auf der Straße war es schon hell, aber wahnsinnig schwere Lider schützten Sascha vor dem Tageslicht. Wahrscheinlich war es schon das Abendlicht – er hatte den ganzen Tag verschlafen.
    Sascha erinnerte sich ganz vage an den Vortag, nicht mit dem Verstand und nicht mit den zerschlagenen Muskeln, sondern mit etwas anderem. Und er erinnerte sich nicht an den Schmerz,
an die Erniedrigung, sondern an die warme und empfängliche Leere des ganzen Körpers. Sie hatten versucht, diese Leere zu zerstören, diese machte sich aber wieder frei, überlebte und stieß den Schmerz von sich ab, einige Brocken an Schwarzem und Rotem, scharfe Spitzen, ein Korn aus Glas …
    Und im Inneren begann wieder der Blutstrom zu rauschen, noch ein wenig nervös, aber leicht, ganz leicht. Und dort, wo das Herz war oder die Seele – dort war alles leicht und unbekümmert.
    Sascha versuchte nicht, etwas zu verstehen, mit seinen leisen und reglosen Überlegungen irgendwohin zu gelangen – er schien vielmehr in jenen Zustand zu verfallen, in dem sich eine unverhoffte Erkenntnis von allein einstellt, unerzwungen.
    Und er verstand – oder möglicherweise träumte er das Verstehen sogar –, dass Gott den Menschen nach seinem Vorbild und ihm ähnlich geschaffen hatte.
    Der Mensch – das ist eine riesige, lautstarke Leere, in der es außerordentlich zieht und riesige Abstände zwischen den Atomen bestehen. Und genau das ist auch der Kosmos. Wenn man aus dem Inneren eines weichen und warmen Körpers schaut – sagen wir aus Saschas

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