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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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dachte Knudsen. Er hat sie zwei Deserteuren zur Verfügung gestellt.
    Sie riskieren gar nichts, Herr Pfarrer, wenn Sie uns in Ihre Kirche kommen lassen, sagte er. Aber ich riskiere mein Leben, wenn ich versuche, Ihre Figur nach Schweden zu bringen.
    Ich setze auch mein Leben aufs Spiel, dachte der Pfarrer, wenn ich die Figur wegbringen lasse. Aber er sprach es nicht aus. Es war ein Argument, das nichts genutzt hätte. Was wird hier gespielt? fragte Gregor. Von was für einer Figur sprichst du, Knudsen?
    Weiß nicht, antwortete Knudsen, er will, ich soll irgend so einen Götzen nach Schweden bringen.
    Halten Sie den Mund, Knudsen, sagte der Pfarrer. Ich verbiete Ihnen, hier und in meiner Anwesenheit von Götzen zu sprechen!
    Es war nicht so gemeint, sagte Knudsen.
    Es war so gemeint. Der Pfarrer hielt unruhig inne. Ist Gott denn ein Götze, dachte er, nur weil er sich nicht mehr um uns zu kümmern scheint? Weil er keine Gebete mehr hört? Keine Gebete gegen die aufbrechende Wunde eines Beinstumpfes, keine Gebete um Hilfe gegen die Anderen?
    Es handelt sich um diese Figur hier, sagte er zu Gregor. Sie darf nicht mehr gezeigt werden. Sie wollen sie mir morgen früh aus der Kirche holen.
    Gregor folgte der deutenden Bewegung Helanders. Natürlich, dachte er, nur um diese Figur konnte es sich handeln. Gregor konnte sehr gut verstehen, warum die Anderen den jungen Mann nicht mehr sitzen und lesen lassen wollten. Einer, der so las wie der da, war eine Gefahr. Auch Knudsen blickte auf die Figur. Das Ding da? fragte er verwundert. Was soll denn das darstellen?
    Die Figur heißt ›Lesender Klosterschüler‹, erklärte Heiander.
    Also noch nicht mal ein Heiliger, sagte Knudsen. Und wegen dem soll ich nach Skillinge?
    Es war nicht festzustellen, ob der junge Mann nun zuhörte, dachte Gregor. Er behielt immer den gleichen Ausdruck von Gelassenheit. Er las weiter: ruhig und aufmerksam. Ebenso ruhig und aufmerksam würde er sein Buch zuklappen und aufstehen, wenn man zu ihm sagen würde: Komm mit, du mußt eine Seereise machen.
    Du wirst es nicht glauben, sagte Gregor zu Knudsen, aber du wirst das Ding nach Schweden bringen.
    Ach, sagte Knudsen, was du nicht sagst! Und wer sollte mich dazu zwingen? Du vielleicht?
    Die Partei, erwiderte Gregor. Es ist Parteibefehl.
    Knudsens höhnisches Lachen stieß sich einen Augenblick lang an den Gewölben. Parteibefehl, sagte er, von dir soll ich einen Parteibefehl annehmen?
    Nichts stimmt zwischen diesen beiden, dachte der Pfarrer. Knudsen haßt diesen Mann, den ihm seine Partei gesandt hat. Vor zwei Stunden hat Knudsen sich bei mir darüber beklagt, daß er nichts mehr für die Partei tun könne, daß die Partei tot sei. Warum freut er sich nicht, wenn ein Bote der Partei zu ihm kommt und ihm Aufträge gibt? Er scheint den Boten zu verachten, diesen Mann, der sich Gregor nennt.
    Hör mal zu, Knudsen, sagte Gregor, du kennst die neue Taktik der Partei nicht! Wir arbeiten jetzt mit allen zusammen: mit der Kirche, mit den Bürgern, sogar mit den Leuten von der Armee. Mit allen, die gegen die Anderen sind. - Er deutete auf die Figur: Wenn wir ihn wegbringen, liefern wir ein Beispiel für diese Taktik.
    Taktik, dachte der Pfarrer, es ist alles nur Taktik bei ihnen.
    Ich will nicht mit den Bürgern zusammenarbeiten, hörte er Knudsen sagen. Wenn wir rechtzeitig geschossen hätten, könnten wir uns jetzt solche Fisimatenten sparen.
    Mach Schluß, sagte Gregor, wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen. Du wirst die Figur nach Schweden bringen!
    Knudsen sah ihn an. Er hatte nun beide Hände in den Taschen. Damit du eine Gelegenheit hast, nach drüben zu kommen, sagte er langsam.
    Ach so, dachte der Pfarrer, darum handelte es sich also. Das war es, was zwischen den beiden spielte: ein kleines Drama aus Angst, aus Depression, aus Zersetzung. Es war also nicht so, daß diese Partei nur aus Eisernen bestand. Sie bestand aus Menschen, die Angst oder Mut hatten. Diese beiden hatten Angst, und sie hatten es sich eingestanden — daher der Haß zwischen ihnen, ein heuchlerischer Haß. Sie waren noch nicht auf dem Grund ihrer Angst angelangt, dort, wo man sie einfach hinnimmt, still und ohne Vorwurf.
    Mich kannst du aus dem Spiel lassen, sagte Gregor zu Knudsen. Wenn ich wegkommen will, komme ich weg. Aber die Figur übernimmst du!
    Statt einer Antwort zog Knudsen seine Taschenuhr heraus. Er mußte sie dicht an die Augen halten, so dunkel war es in der Kirche geworden. Viertel vor fünf, sagte er dann.

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