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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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geliefert. Ich habe zu viel Zucker im Blut, als daß die Wunde dann noch heilen könnte. Aber während seines ganzen Gebets hatte er gewußt, daß der Herr ihm nicht helfen würde. Meine Wunde wird aufbrechen, hatte er gedacht. Er hatte die Bänder der Prothese etwas gelockert und nachgesehen, die Ränder der Operationsnarbe waren geschwollen und entzündet. Sie haben etwas Zucker, hatte der Stabsarzt in jenem Feldlazarett bei Verdun zu ihm gesagt, nachdem er ihm das Bein abgeschnitten hatte. Er hatte bedenklich den Kopf geschüttelt. Nach ein paar gefährlichen Wochen war die Wunde doch verheilt. Aber Pfarrer Helander hatte immer gewußt, daß sie sich eines Tages wieder öffnen würde. Wenn sie sich öffnen würde, gab es keine Hilfe mehr. Klinik, würde Doktor Frerking sagen, Klinik, das Bein muß stillgelegt werden, und Insulin. Aber Helander wußte, daß Klinik und Insulin das Bein nicht mehr stillmachen würden, wenn es sich noch einmal geöffnet haben würde, geöffnet zu einem Schrei aus bloßgelegten roten Geweben und schwarzem Brand. Natürlich mußte er trotzdem morgen zu Doktor Frerking gehen. Vielleicht handelte es sich nur um eine einfache Entzündung der Wundränder. Aber zuvor mußte noch diese Sache mit der Figur erledigt werden. Er hatte die Prothese wieder festgeschnallt und war ans Fenster gehumpelt. Die Wand. Die große rote Wand ohne Inschrift. Und dann hatte er Knudsen gesehen, Knudsen, wie er schnell am südlichen Langhaus entlang ging und, ohne sich umzusehen, in der Kirche verschwand.
    Natürlich habe ich nicht angenommen, ich würde Sie im Gebet versunken antreffen, sagte Helander. Aber das ist doch die Höhe! Er bellte plötzlich los: Das Gotteshaus ist kein Ort, in dem ihr die Geschäfte eurer Partei abwickeln könnt!
    ›Geschäfte‹ ist ein sehr schlechtes Wort für das, was wir abwickeln, sagte Gregor ruhig. Er setzte hinzu: Wir sind keine Wechsler und Händler, Herr Pfarrer, uns brauchen Sie nicht aus dem Tempel zu verjagen.
    Sie, wer sind Sie denn? Der Pfarrer sah Gregor an.
    Er sah nicht mehr, als was Knudsen gesehen hatte: einen jungen Mann, eher klein als groß, glatte schwarze Haare über einem mageren Gesicht, einen grauen Anzug, Fahrradklammern an den Hosen. Sie haben wenigstens noch junge Männer, dachte er.
    Ich habe keinen Namen. Aber Sie können mich Gregor nennen.
    So, du bist Gregor! sagte Knudsen. Ich habe von dir gehört. Von dir hätte ich nicht gedacht… Gregor schnitt ihm das Wort ab. Du denkst überhaupt zu wenig, sagte er.
    Sie sind einer von denen, die sich an ein Stück Bibel erinnern, wenn sie es brauchen können, sagte Helander.
    Ja, sagte Gregor. Einer von denen bin ich. Aber es ist nicht meine Schuld. Warum bringen Sie uns die Bibel bei?
    Hören Sie nicht auf ihn, Herr Pfarrer, sagte Knudsen. Er dreht Ihnen das Wort im Mund herum.
    Sie standen die ganze Zeit, während sie miteinander sprachen, neben der Figur. Eigentlich sind wir zu viert, dachte Gregor. Der Bursche, der dort sitzt und liest, dreht sicherlich auch das Wort im Mund herum. Er dreht es herum und befühlt es von der anderen Seite.
    Sie sollten eigentlich stolz darauf sein, daß wir Ihre Kirche benützen, um uns zu treffen, Herr Pfarrer, sagte Gregor.
    Die Kirche ist kein Treffpunkt für Menschen, die nicht an Gott glauben.
    Gott oder nicht, sagte Gregor, es kommt nur darauf an, ob es Menschen sind, die sich treffen. Es wird bald keine Plätze mehr geben, an denen sich Menschen treffen können. Es gibt fast nur noch Plätze für die Anderen.
    Sie argumentieren nicht schlecht, sagte der Pfarrer.
    Ja, sagte Knudsen, reden - das kann er. Das ist seine Stärke.
    Es war inzwischen so dunkel geworden in der Kirche, daß das Weiß ihrer Wände sich in ein vollkommen mattes Grau verwandelt hatte. Vielleicht hätte dieses Grau begonnen zu leuchten, wenn es draußen schon Nacht geworden wäre, aber durch die hohen Fenster der Querschiffe konnte man sehen, daß draußen noch Frühabendlicht hing, Dämmerungshelle.
    In dem diffusen Licht fragte der Pfarrer: Wie ist es, Knudsen, haben Sie es sich noch einmal überlegt? Deswegen bin ich ihm nachgegangen, dachte Helander, nicht aus Neugier.
    Nein, erwiderte Knudsen, ich habe es mir nicht noch einmal überlegt.
    Schade, sagte Helander. Ich dachte, es ließe sich vielleicht ein Geschäft mit Ihnen machen. Ich stelle meine Kirche Eurer Partei zur Verfügung, und Ihr bringt mir dafür die Figur weg!
    Er hat die Kirche nicht der Partei zur Verfügung gestellt,

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