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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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dich wirklich, glaub mir, sagte er. Aber ich muß hinüber.
    Knudsen bemerkte sogleich den ganz anderen Ton in Gregors Stimme.
    Als Kurier? fragte er.
    Nein, sagte Gregor.
    Du willst also kneifen?
    Du kannst es auch so nennen, antwortete Gregor. Wie nennst du das, was du tust?
    Aber ich bin kein Mann vom ZK, sagte Knudsen.
    Es ist kein Unterschied zwischen uns, sagte Gregor. Zwischen einem Mann vom ZK und einem einfachen Genossen ist ein Unterschied. Aber zwischen zweien, die kneifen wollen, ist keiner.
    Er spürte, wie in dem anderen eine Welle von Wut hochstieg, und ließ sie gleichmütig verebben. Das war immer so, wenn man völlig kaltblütig aussprach, was man dachte, falls man richtig dachte.
    Du hättest deinen Dreck für dich behalten können, sagte Knudsen. Er knurrte es.
    Gregor gab keine Antwort darauf. Wie ist es, fragte er, wollen wir nicht zusammen versuchen, nach drüben zu kommen? Du solltest auch dort bleiben! Hier gehst du ja doch früher oder später hoch.
    Ich habe es mir hundertmal überlegt, dachte Knudsen. Ich kann nicht. Ich kann es Bertha nicht antun. Niemand würde sich um Bertha kümmern, wenn ich fort wäre. Ich kann sie nicht im Stich lassen!
    Er schüttelte den Kopf. Er wollte etwas sagen, aber in diesem Augenblick schmetterten zwei Glockenschläge in den Raum, und der Küster kam, als sei er eine Figur in einem Uhrwerk, zusammen mit dem Geschmetter aus der Sakristei. Er blieb vor dem Altar stehen und rief in die plötzliche Stille hinein: Die Kirche wird geschlossen. Dann erkannte er Knudsen.
    Donnerwetter, sagte er, Sie, Herr Knudsen? Ein seltener Gast! Nur ein Freund, sagte Knudsen nach einer Pause, ein Freund von auswärts. Er wollte durchaus die Kirche sehen. Elender Mist, dachte er, in das spöttische Lächeln des Küsters hinein, das hat so kommen müssen. Jetzt geht die Geschichte rund in Rerik. Und warum bin ich überhaupt hergekommen? Um einem Genossen vom Zentralkomitee zuzuhören, der mir am Schluß erklärt, daß er türmen will. Mein Boot, dachte er, warum bin ich nicht auf See? Auf einmal fühlte er, daß der Teer- und Ölgeruch seines Bootes das einzig Wirkliche in einer Welt voll von gespenstischen Ängsten war, das einzige, woran er sich halten konnte. Er suchte noch nach ein paar Worten, als er sah, daß Pfarrer Helander die Kirche betrat.
    Helander kam auf die Gruppe zu. Sie können gehen, Paulsen, sagte er zu dem Küster. Geben Sie mir die Schlüssel, ich schließe heute selbst die Kirche ab. Ich habe noch mit Herrn Knudsen zu reden.
    Der Junge
    Er ging wieder zum Hafen runter. Ich krieg keine Heuer in Hamburg oder sonstwo, wenn ich nicht eine Genehmigung von meiner Mutter mitbringe, dachte er. Mit sechzehn krieg ich gar nichts ohne ein Papier von meiner Mutter. Ins Ausland kann ich auch nicht, weil ich keinen Paß kriege, wenn Mutter nicht ihre Einwilligung gibt. Ob man ohne Paß ins Ausland kommt? Aber die schicken einen zurück, einen Jugendlichen schicken sie bestimmt zurück. Überall brauchte man Papiere, und die Papiere bekam man nicht ohne die Einwilligung der Erwachsenen. Das hatten die Erwachsenen schon prima eingerichtet, dachte der Junge. Huckleberry Finn, der brauchte keine Papiere. Aber das war damals, und Amerika war so groß, daß man nicht auf die Idee kam, man müsse ins Ausland, wenn man was sehen wollte.
    Amerika war auch nicht so langweilig - Grund eins, warum man weg mußte - wie Rerik. Huck Finn, der floh nicht, weil es irgendwo langweilig war. Er floh, weil er verfolgt wurde. In Rerik, dachte der Junge, gab es keine Verfolgungsjagden. In Rerik war überhaupt nichts los. Man mußte irgendwohin, wo etwas los war. Nach Amerika zum Beispiel.
    Helander — Knudsen — Gregor
    Himmel, Arsch und Zwirn, sagte Knudsen zu Gregor, als der Küster gegangen war, jetzt weißt du auch noch meinen Namen. Bitter fügte er hinzu: Fischer Heinrich Knudsen, wenn du es ganz genau wissen willst. Mein Kutter heißt ›Pauline‹. ›Pauline‹ oder ›Rerik 17‹. Präg es dir ein!
    Ich werde keinen Gebrauch davon machen, sagte Gregor.
    Ich habe Sie vorhin in die Kirche hineingehen sehen, Knudsen, sagte Helander, und als es einige Zeit dauerte und Sie nicht herauskamen, da entschloß ich mich, nachzusehen.
    Er hatte, nachdem er vom Hafen zurückgekommen war, eine Weile auf dem Lehnstuhl in seinem Studierzimmer gesessen, ganz betäubt von den Schmerzen in seinem Beinstumpf. Herr, hatte er gebetet, laß die Operationswunde nicht aufbrechen, denn sonst bin ich

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