Sansibar Oder Der Letzte Grund
bartstoppeliges, wettergegerbtes Fischergesicht unter schon grau gewordenen Haaren, nichts leuchtete in diesem einfachen Gesicht, nicht einmal die Augen; sie waren klein und scharf und blau, aber sie leuchteten nicht, sie phosphoreszierten nur, kleine blaue phosphoreszierende Kugeln, in die harte Fläche des Gesichts eingelassen. Der letzte Genosse von Rerik sieht aus, als könne er in der Nacht sehen, dachte Gregor.
Die Anderen sind zu stark, sagte Knudsen. Ist doch alles Murks, was wir gegen sie machen. Steht doch nicht dafür. Sag doch selbst - wenn sie jetzt hereinkämen und uns schnappen würden: hätte es dafürgestanden?
Wenn wir nichts mehr tun, gibt es uns auch nicht mehr, sagte Gregor. Er wußte, daß nicht sehr viel Energie hinter seinen Worten saß.
Knudsen deutete mit dem Finger auf seine Stirn. Da drin müssen wir noch da sein, sagte er. Das ist viel wichtiger als ein paar Flugblätter verteilen und Parolen an die Wände schmieren.
Der Mann hat ganz recht, dachte Gregor. Natürlich waren seine Überlegungen auch von der Furcht bestimmt, aber selbst wenn man ein gewisses Maß von Furcht einkalkulierte, stimmten sie. Man mußte übrigbleiben, darauf kam es an. Aber er durfte ihm nicht zustimmen, das wäre gegen die Linie der Partei gewesen. Es blieb nicht mehr viel zu sagen. Sein Auftrag war ausgeführt. Er konnte ins Zentralkomitee zurückkehren und melden, das Außenwerk Rerik sei gefallen. Denn als gefallen würden sie es betrachten, wenn er berichten würde, daß es in Rerik nur noch einen einzigen Genossen gab und daß dieser einzige der Meinung war, es genüge, an die Partei zu glauben, ohne etwas für sie zu tun. Sie würden nicht bereit sein, diese These auch nur einen Augenblick lang zu diskutieren. Es ist mir wurscht, dachte er, worüber sie reden oder nicht reden. Ich werde sie nicht mehr wiedersehen.
Hör mal, sagte er zu Knudsen, aber ihr hier habt doch Verbindungen mit dem Ausland, was? Damit wenigstens müßte die Partei rechnen können. Wir müssen jede Möglichkeit, die es gibt, für Kurierdienste ausnützen.
Was will er damit, dachte Knudsen, sofort mißtrauisch. Ist die Partei jetzt schon darauf angewiesen, sich für ihre Auslandsverbindungen an uns zu wenden? Die Partei muß ziemlich fertig sein, wenn sie dazu uns kleine Fischer braucht.
Er beschloß, sich dumm zu stellen. Es kommen nur noch wenige fremde Pötte rein, sagte er. Rerik ist eigentlich nur noch ein Binnenhafen. Und wenn mal ein Schwede oder Däne kommt — meinst du, ich kann dann hingehen und mich erkundigen, ob einer von der Partei drauf ist? Wenn ich so einem Steamer nur in die Nähe kommen würde, wäre ich am nächsten Tag in Oranienburg! Dieses verdammte Nest, fügte er erbittert hinzu. Du weißt nicht, wie die Arbeit in so einem Nest ist, Genosse!
Es klang eine Spur zu eifrig. Du hast einfach die Schnauze voll, mein Lieber, dachte Gregor. Du willst dich in deinen Winkel verkriechen und an die Partei glauben. Und ich, was will ich? Ich will aus meinem Winkel raus und irgendwohin, wo man noch nachdenken kann, darüber nachdenken, ob es noch einen Sinn hat, an die Partei zu glauben.
Lesen, dachte er. Noch einmal lesen. So lesen, wie der da vorn. Der war übrigens kaum noch zu erkennen. Die weiße Kirche war jetzt voll mit grauen Schatten. Es war Zeit, sie zu verlassen.
Und du selbst? fragte Gregor. Könntest du oder ein anderer einen Kurier nach drüben bringen?
Das ist schon der zweite heute, dachte Knudsen, der so etwas von mir verlangt. Zuerst sollte ich einen Heiligen rüber bringen und jetzt einen Parteikurier. Plötzlich besann er sich auf das, was der Pfarrer ihn gefragt hatte. Für die Partei würden Sie also rüberfahren, Knudsen? hatte der Pfarrer gefragt. Und er, was hatte er geantwortet? Es gibt sie gar nicht mehr, die Partei. Und da verlangen Sie, ich soll etwas für die Kirche tun?
Du verstehst nichts von der Seefahrt, Genosse, sagte er zu Gregor. Unsere Kutter sind nur für die Küstenfischerei. Wir können damit nicht auf die offene See hinaus.
Warum sage ich das? fragte er sich. Ich könnte jetzt doch etwas für die Partei tun. Ich habe den Pfarrer angelogen. Ich hätte ihm antworten müssen: für die Partei tue ich auch nichts mehr.
Gregor horchte ein paar Sekunden in die tiefe Stille der Kirche hinein. Er beschloß auf einmal, alles auf eine Karte zu setzen.
Ich verstehe, daß du nicht willst, sagte er. Als Knudsen abwehrend die Hand hob, ließ er ihn nicht zu Wort kommen. Ich verstehe
Weitere Kostenlose Bücher