Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
Vom Netzwerk:
wischte das Bild weg. Es gab Lederjacken, denen man Geld anbieten mußte. Hoffnungslos, dachte sie, ich bin gar nicht imstande dazu, ich habe niemals in meinem Leben jemand Geld angeboten, ich werde es bestimmt falsch machen.
    Über den Platz kamen zwei Polizisten auf die Anlegestelle zu, Landespolizisten in grünen Uniformen, die schwarzen Stiefel glänzend gewichst. Gregor beobachtete den Ausdruck von Angst in Judiths Gesicht, als sie die beiden Männer erblickte; sie zog sich langsam und unsicher aus dem runden Lichtkreis der Kailampe zurück. Sie hat keine Ahnung, dachte Gregor, sie weiß nicht, daß die Grünen ungefährlich sind, gefährlich sind nur die Anderen. Gefährlich sind auch die Leute hier, die alle so tun, als sähen sie die Fremde überhaupt nicht, aber sie sehen sie doch und beobachten sie, auch wenn sie sie nicht anstarren, wie es die Leute in einem Hafen im Süden tun würden. Gefährlich werden ihre Reden nachher sein, unter sich, in ihren Häusern, die abgerissenen Worte, die halben Sätze, »hast du die gesehen?«, das Ungefähre einer mißgünstigen Verwunderung, das dunkle Gerücht, aus dem Nichts aufsteigend und um die Türme von Rerik wehend, bis an die Ohren der Anderen. Gregor sah sich unter den Menschen, die am Kai standen, sorgfältig um, ob ein Spitzel der Geheimen Staatspolizei darunter war. Eine seiner Begabungen, für die er immer wieder von den Genossen gelobt wurde, war, daß er unter hundert Leuten mit unfehlbarer Sicherheit einen Achtgroschenjungen herausfand. Das Gesindel war leicht zu erkennen für ihn; er hatte einen Blick dafür. Hier, in Rerik am Kai, war die Luft noch rein, stellte er fest. Sie vernachlässigen Rerik, dachte er, aber sie vernachlässigen es, weil sie wissen, daß man von hier nicht fliehen kann. Er wäre am liebsten zu dem Mädchen hinübergegangen, das jetzt am Rand des Lichtkreises stand, und hätte es darüber aufgeklärt, daß Rerik ein schlechter Platz war, um wegzukommen. Der Schwede, der arme alte Schwede nahm sie nicht mit, der nahm niemand mit, er war ein ängstlicher alter Dampfer, der sich genau an die Gesetze hielt, das konnte man sehen. Etwas Hoffnungsloses ging von dem Schiff aus, es riskierte kein Abenteuer mehr, das war sicher, kein Abenteuer für ein junges schwarzhaariges Mädchen, das einen hellen Trenchcoat anhatte, für eine Fremde mit einem schönen, zarten, fremdartigen Rassegesicht, für eine Ausgestoßene mit wehenden Haarsträhnen über einem hellen, elegant geschnittenen Trenchcoat.
    Knudsen konnte Gregor nicht mehr genau im Auge behalten, weil jetzt so viele Menschen sich auf dem Kai befanden, daß Gregor immer wieder verdeckt wurde, auftauchte und aufs neue verschwand. Auch bewegte er sich; Knudsen sah den grauen Anzug mit den Fahrradklammern an den Hosen an verschiedenen Stellen sichtbar werden, aber immer bewegte er sich in dem Kreis der Lampe, welche die Ankunft des schwedischen Dampfers grell beleuchtete. Was will er dort, dachte Knudsen, wird er so verrückt sein, die Schweden sofort anzuhauen? Er zwang sich, zu denken: ist mir ja ganz gleich, dieser Bursche aus dem Zentralkomitee, der türmen will, geht mich nichts mehr an. Nichts mehr geht mich etwas an. Er sah Bertha drüben aus dem Haus treten und auf den Kutter zukommen. Sie trug mit beiden Armen zwei große Proviantkörbe. Sie kam auf Deck und stellte die Körbe ab, Knudsen sah, daß sie alles gerichtet hatte: die Thermosflaschen mit. Kaffee und den Kanister mit Suppe und die Pakete mit belegten Broten, alles Nötige für eine Fahrt bis übermorgen abend, für eine Zweitagefahrt mit dem kleinen Schleppnetz auf den Dorsch, der Arbeit für einen Mann und einen Jungen. Er fuhr ihr mit der Hand über den Arm, ihr blondes Haar glänzte, und er merkte, daß sie in den kalten Windstößen fröstelte. Geh ins Haus, sagte Knudsen, ich lege gleich ab. Sie sah ihn mit ihrem freundlichen Lachen an und sagte: Aber ich muß dir noch einen Witz erzählen. Nein, jetzt nicht, erwiderte Knudsen und schob sie auf den Kai hinauf. Sie stand einen Augenblick oben und blickte freundlich auf ihn herab, aber in ihre Augen trat etwas Trauriges, ein Ausdruck von Hilflosigkeit, und ihren ganzen Körper schien eine krampfartige Spannung zu überfallen. Also erzähl schon, sagte Knudsen, und sie erzählte ihren Witz, und dann ging sie zum Haus zurück und winkte Knudsen von der Türe aus noch einmal zu. Ich kann nicht weg, dachte Knudsen, als er ihr nachsah, was soll aus Bertha werden, wenn ich

Weitere Kostenlose Bücher