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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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die Stimme sang immer noch.
    Hören Sie, sagte der Wirt, das können Sie aber nicht machen! In meinem Lokal können Sie keine Damen belästigen.
    Der Schwede sah ihn zum erstenmal an. Dein Scheiß-Lokal interessiert mich nicht, sagte er.
    Der Wirt packte ihn am Arm. Du besoffenes Schwein, sagte er. Die Seeleute, die um den Tisch saßen, erhoben sich langsam. Aber der Wirt hatte Mut. Er nahm seine Hand nicht von dem Arm des großen Blonden. Du besoffenes Schwein zahlst jetzt, was du getrunken hast, und dann verschwindest du, sagte er.

Judith hatte sich erhoben. Ich komme mit, sagte sie, ich will gerne Ihren Whisky probieren.
    Der Schlager rauschte noch einmal auf und erlosch. Irgend jemand drehte das Radio ab. Der blonde Schwede hob seinen freien Arm und legte ihn auf das Handgelenk des Armes, mit dem der Wirt ihn gepackt hielt. Hoffentlich schlagen sie sich nicht, dachte Judith. Wenn es eine Schlägerei gibt, dann kommt die Polizei und dann werden alle Personalien festgestellt.
    Aber der Wirt ließ von selbst seinen Arm sinken. Sie sind ja ein nettes Flittchen, sagte er zu Judith auf deutsch. Sie wurde blaß. Der Schwede verstand nicht, was der Wirt zu Judith sagte, aber er erriet, daß er sie beschimpfte. Hör mal, sagte er, das Mädchen kann tun, was es will, und wenn du nicht deine Schnauze hältst…
    Judith, die hinter dem Tisch hervorgetreten war, faßte ihn am Arm. Lassen Sie ihn, sagte sie. Aber es war deutlich, daß der Schwede und seine Kameraden jetzt eine Schlägerei wünschten. In diesem Augenblick rettete der graue junge Mann die Situation, indem er nach dem Wirt rief. Er rief mitten in die Stille hinein mit so scharfer, klarer Stimme, daß die Spannung zerfiel. Der Wirt trat aus dem Halbkreis heraus und ging auf ihn zu. Kommen Sie, sagte Judith zu dem Schweden, wir wollen gehen. Sie nahm ihren Mantel von der Wand. Der Schwede blickte unwillig dem Wirt nach, ehe er sich ihr zuwandte.
    Haben Sie noch ein Zimmer frei, hörte sie den grauen jungen Mann sagen.
    Sie können das Zimmer von der da haben, sagte der Wirt. Die fliegt raus. Solche wie die fliegen bei mir raus. Er sprach es zu dem Tisch der Einheimischen hinüber, die mit den Köpfen nickten. Fräulein, rief er dann Judith zu, Sie können Ihren Koffer gleich mitnehmen. Zahlen Sie Ihr Abendessen und hauen Sie ab!
    Judith blieb unschlüssig stehen. Das wäre die beste Lösung, dachte sie. Der beste Ausweg aus der Sache mit dem Paß. Aber ich kann doch jetzt nicht meinen Koffer holen und mit meinem Koffer in der Hand neben dem Schweden her auf das Schiff gehen. Der Schwede, der nichts verstanden hatte, überhob sie einer Antwort. Er warf einen Geldschein auf die Theke und drängte sie zur Tür. Ich sollte doch meinen Koffer mitnehmen, dachte Judith, vielleicht komme ich nie wieder zurück, aber wenn ich auf dem Schiff bleiben kann, holt mir vielleicht ein Matrose den Koffer ab. Sie erfaßte noch den Blick des Wirtes, ein Gemisch aus Wut und Spähen nach der Größe des Geldscheins, den der Schwede zurückließ, das gelbe Rauchlicht der Gaststube saugte sich noch einmal an ihr fest, sie riß sich los, die Schwingtür knarrte, sie spürte den Griff des Schweden um ihren Arm, und wie er sich lockerte und ihn frei gab.
    Draußen brannten noch immer die hellen, kalten Kailampen, weiße Kreise mit Nacht rundherum. Die meisten Leute waren nach Hause gegangen, nur noch wenige Menschen trieben sich bei den Booten herum.
    Ein böser Mann, sagte der Schwede auf deutsch. Er suchte die Worte zusammen, um das plötzlich zwischen ihnen eingetretene Schweigen zu überbrücken. Er weiß nicht recht, ob der Wirt wirklich ein böser Mann ist, dachte Judith. Solange er noch ein wenig betrunken ist, wird er es sich vormachen. Aber wenn er nüchtern wird, kommt das Wort ›Flittchen‹ wieder. Er wird erraten können, was es bedeutet. Wie heißt ›Flittchen‹ auf schwedisch? Wie heißt es auf englisch? Wenn ich wüßte, was ›Flittchen‹ auf schwedisch oder englisch heißt, könnte ich ihn fragen, ob er mich für ein Flittchen hält. So muß ich ihn denken lassen, daß ich eines bin. Ein Mädchen, das mit einem wildfremden Mann auf ein Schiff geht, weil er ihm Whisky angeboten hat, ist ein Flittchen.
    Der Wirt ist so gemein geworden, weil er scharf ist auf mich, erklärte sie. Himmel, dachte sie fast staunend, das ist eine Erklärung wie von einer Hafendirne, die mit dem Sieger in einer Schlägerei weggeht. Wie schnell man in etwas hinein gerät! Gestern noch mit Mama

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