Sansibar Oder Der Letzte Grund
gebratenen Kartoffeln, Eiern und Fleisch. Wenigstens ist noch eine Kellnerin da, dachte Judith, sonst wäre ich die einzige Frau hier. Wenn Mama hier wäre, würde ich mich völlig sicher fühlen; Mama hatte eine wunderbar sichere Art, mit allen Arten von Leuten umzugehen, und sie dachte an die noch im Tode sichere und feingegliederte Hand, ausgestreckt und gelassen neben der Tasse ruhend.
Sie sah wieder das weiße Lampiongesicht des Wirtes hinter
der Theke schwimmen; in dem künstlichen Licht der Leuch- ter aus gelblichem Rauchglas wirkte es noch phantomhafter
als bei Tage. Er unterhielt sich mit den drei Schweden, die an
der Theke standen, in einem Gemisch aus Deutsch, Englisch und Schwedisch. Judith versuchte, mitzuhören, um etwas über das Schiff zu erfahren, aber sie verstand nichts; die Radiomusik war zu laut. Als die Kellnerin an ihren Tisch kam, bestellte sie bei ihr eine Omelette und Tee. Ich kann nichts essen, dachte sie, es wird schrecklich sein, etwas essen zu müssen.
Sie fühlte, wie die Schweden am Tisch gegenüber sie beobachteten, obwohl sie nicht direkt zu ihr herüber sahen. Sie saßen, ohne sich miteinander zu unterhalten, auf ihren Stühlen, rauchten und tranken mit ordentlichen und aufmerksamen Bewegungen abwechselnd Bier und Schnaps. Die kleine Kellnerin mußte die Gläser häufig wechseln.
Zum erstenmal, seitdem sie in das ›Wappen von Wismar‹ zurückgekehrt war, erfaßte Judith jetzt auch wieder einen Blick des Wirtes. Sie versuchte, ihn zu erwidern, aber es gelang ihr nicht recht; scheu senkte sie die Augen. Nur die Einheimischen beachteten sie nicht; sie sprachen miteinander. Ob der junge Mann in dem grauen Anzug von ihr Notiz nahm, konnte sie nicht feststellen; er aß und las dabei die Zeitung.
Der Wirt ging in die Küche hinaus, und nach einiger Zeit brachte er ihr selbst die Omelette und ein Glas mit hellem, dünnem Tee. Er spielte vor dem Lokal den Mann, der einen distinguierten Gast auszeichnen will; alle blickten jetzt zu ihr herüber.
Sie sind lange spazierengegangen, sagte er, hat Ihnen die Stadt gefallen?
Ich war nur draußen vor der Tür, erwiderte Judith. Sie hätten mich die ganze Zeit sehen können. Das hätte ich nicht sagen sollen, dachte sie, das klingt ja so, als gäbe ich ihm das Recht, mich zu kontrollieren. Ein hübscher Hafen, fügte sie hastig hinzu.
Sie hätten ihn früher sehen sollen, sagte der Wirt. Da war was los bei uns. Er hat etwas gesagt, dachte Judith, und ich habe gar nicht hingehört. Ich bringe Ihnen dann gleich den Paß, sagte sie, ich habe vorhin nicht dran gedacht, als ich oben
war. Wieder ein Fehler, dachte sie im gleichen Moment, ich
habe wieder einen Fehler gemacht.
Stimmt, sagte der Wirt, ich hätt’s beinah vergessen. Sie
müssen mir noch den Paß geben.
Es war ihr unmöglich, ihn anzusehen. Er ist ekelhaft, dachte sie. Sie blickte auf ihren Teller und sah nichts von ihm
als seinen Bauch, eine Wölbung unter einem alten braunen
Anzug, einen garstigen Bauch, der neben ihrem Tisch auf- wuchs. Es gibt also die Möglichkeit nicht, dachte sie, die ich
mir vorhin am Hafen draußen ausgedacht habe, das Klopfen
des Scheusals an der Tür, nachts, die romantischen Scheusal- Schritte nachts auf dem Gang, nichts ist romantisch, alles ist
nur garstig, alles, alles, alles. Dennoch gab ihr gerade dieser
Gedanke die Kraft, sich zu wehren. Ich muß ihn hinhalten, dachte sie, und sie gab sich einen neuen Anlauf.
Schlimmstenfails müssen Sie mich wecken, sagte sie frech, mit einem Rückfall ins Backfischhafte, das ihr noch immer ge- lang, wenn sie es wollte. Sie blickte ihm dabei ins Gesicht.
Seine Augen waren zu Schlitzen geworden.
Wie Sie wollen, sagte er. Das kann aber spät werden, heute nacht. Er wies mit einer Schulterbewegung auf die Schweden:
Die bleiben lange.
Es war ihm anzumerken, was er dachte. Eine hübsche
Krabbe bin ich in seinen Augen, dachte Judith, eine hübsche
verdorbene Krabbe.
Ich bringe den Paß schon noch herunter, ehe ich schlafen
gehe, sagte sie.
Wie Sie wollen, wiederholte er, nun fast eifrig. Es macht
mir nichts aus, Sie zu wecken.
Er war nun einer von den besorgten Fetten, die eine Abma- chung immer und immer wieder bestätigt haben wollen. Er
ging hinter die Theke zurück.
Vor dem habe ich eine Weile Ruhe, dachte Judith. So lange, bis er an die Tür klopft. Oder bis ich mich aus dem Haus ge- schlichen habe. Es muß einen Hinterausgang geben. Aber
wohin soll ich von hier aus gehen? Den Koffer kann
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