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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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er hat zu lange in der Partei gearbeitet, um nicht etwas zu ahnen.
    Na schön, sagte Kröger, dann bist du eben krank gewesen. Aber ich wär rausgefahren, auch wenn ich noch so krank gewesen wäre. Der Dorsch…
    Ja, ich fahr ja schon, unterbrach Knudsen ihn. Kröger folgte seinem Blick, aber er konnte nichts ausmachen, was ihn interessiert hätte.
    Guten Fang, sagte er und ging weg. Knudsen löste seinen Blick von der grünen Türe des ›Wappens von Wismar‹ und sah Kröger nach. Der Ochse, dachte er, der nichts mehr mit der Partei zu tun haben will. Und ich, bin ich besser als er? Bin ich seit heute nachmittag was anderes als ein stummer Fisch? Er dachte haßerfüllt an Gregor. Der Kerl aus dem ZK, der kneifen will, dachte er, er hat mich zum stummen Fisch gemacht. Zu einem Ochsen wie Kröger. Und dann bleibt er hier, sann Knudsen. Er geht noch nicht einmal weg. Wirklich wegen der Figur des Pfaffen? Oder weil er glaubt, er käme mit dem Schweden weg? Oder mit mir? Ich werde ihn bei Brägevoldt verpfeifen als Deserteur, dachte Knudsen. Aber ich bin selbst einer. Ich habe es diesem Mann Gregor zugegeben.
    Soll ich die Leinen losmachen? fragte der Junge, fahren wir los, Käpten?
    Nein, sagte Knudsen. Ich hab noch was zu erledigen. Du kannst heimgehen. Ich hol dich dann.
    Der Junge
    Er fing nun langsam doch an, sich zu wundern. Was hat der Fischer nur, dachte er, die anderen kommen schon zurück und er schiebt das Auslaufen immer wieder raus. Seit drei Tagen liegt er schon im Hafen rum, obwohl der Dorsch draußen steht. Na, mir kann’s recht sein, dachte der Junge, ich geh nochmal in mein Versteck. Aber ehe er den Hafenkai verließ, ging er zu dem Schweden rüber. Wenn es keine Papiere gäbe, dachte er, könnte ich fragen, ob sie noch einen brauchen können. Früher war so was möglich, dachte der Junge, wenn das stimmt, was in den alten Geschichten steht, damals konnte ein Junge, der es zu Hause nicht mehr aushallen konnte, einfach weg. Aber heute muß der Schwede, wie jedes andere Schiff, ‘ne Mannschaftsliste führen und sie sich im Hafenamt klarieren lassen. Und die im Hafenamt würden Augen machen, wenn sie seinen Namen auf der Mannschaftsliste fänden; sie würden ihn sofort herunter holen. Der Junge prüfte, ob es vielleicht eine Möglichkeit gab, als blinder Passagier mitzukommen. Aber sie hatten natürlich eine Deckswache von zwei Mann stehen, und der Pott war viel zu klein, um ungesehen auf ihn raufzukommen.
    Judith
    Der Wirt hatte bis jetzt nicht wieder von dem Paß angefangen, obwohl sie lange ausgeblieben war. Sie war sogar zuerst auf ihr Zimmer gegangen, um auszuprobieren, ob er sie erinnern würde, wenn sie wieder nach unten kam. Aber er hatte nichts gesagt; er hatte sie nicht einmal angesehen. Allerdings war er ziemlich mit den Schweden beschäftigt, sie waren nur sieben oder acht Mann, aber sie füllten doch beinahe die kleine Gaststube - die größere war jetzt, im Spätherbst, nicht mehr offen -, drei von ihnen standen an der Theke, die anderen saßen an einem Tisch Judith gegenüber, unter ihnen der große jüngere Mann, den Judith auf der Brücke gesehen hatte. Sie hatten Bierflaschen mit Gläsern vor sich stehen und große Gläser mit wasserklarem Schnaps. Sie hatten sich an den Tisch gesetzt, über dem, an der Wand, ein Bild des Führers der Anderen hing, aber sie schienen das gemeine, vollkommen seelenlose Bastardgesicht nicht zu beachten, nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil es sie nicht interessierte; sie waren offenbar schon aus vielen Besuchen in deutschen Häfen daran gewöhnt und wunderten sich nicht mehr darüber; es war für sie sicherlich nicht mehr als eine nationale Eigenart, nichts anderes als ein Guinnessplakat in einer Kneipe in Hüll oder ein Bild der Königin im Hafenamt von Delfzijl. Schlechte Aussichten für mich, dachte Judith, wenn sie sich einfach da Hinsetzen können, unter dieses Gesicht, ohne sich gestört zu fühlen. Das Radio war angestellt; es spielte Märsche und Schlager, unterbrochen von der Stimme des Ansagers. An der einen Hälfte des Längstisches vor den Fenstern, die jetzt von blaugemusterten Vorhängen verdeckt waren, saßen ein paar Einheimische, ein dickes, kleines, dunkelhaariges Mädchen brachte ihnen Bier, es waren aber keine Fischer, sondern Kleinbürger aus der Stadt, Händler. Am anderen Ende dieses Tisches, von ihnen getrennt, saß ein junger Mann in einem grauen Anzug, ein Fremder vielleicht, er aß ein Bauernfrühstück, ein Gericht aus

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