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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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meiner Hilfe Fahrrad fahren gelernt hatte, natürlich heimlich, aber heutzutage war der Verkehr in der Großstadt entsetzlich gefährlich, wie jeder wusste.
    Wie so oft bedauerte ich, dass meine Mum und wir nicht oben bei uns essen konnten, aber meine Großmutter, Lady Arista, bestand darauf, dass wir uns im düsteren Esszimmer einfanden, dessen Täfelung die Farbe von Vollmilchschokolade hatte, das zumindest war der einzig schöne Vergleich, der mir jemals eingefallen war. Der andere war... äh... eher unappetitlich.
    Wenigstens war heute die Stimmung deutlich besser als am Vortag, wie mir gleich auffiel, als ich ins Zimmer kam.
    Lady Arista, die immer etwas von einer Ballettlehrerin hatte, die einem gleich auf die Finger klopft, sagte freundlich: »Guten Morgen, mein Kind«, und Charlotte und ihre Mutter lächelten mich an, als ob sie etwas wüssten, wovon ich wiederum keine Ahnung hatte.
    Da Tante Glenda mich sonst niemals anlächelte (überhaupt kaum jemanden, von einem säuerlichen Heben ihrer Mundwinkel mal abgesehen) und Charlotte mir gestern erst ein paar grässliche Dinge an den Kopf geworfen hatte, wurde ich sofort misstrauisch.
    »Ist etwas passiert?«, fragte ich.
    Mein zwölfjähriger Bruder Nick grinste mir zu, als ich mich auf meinen Platz neben Caroline setzte, und meine Mum schob mir einen riesigen Teller mit Toast und Rührei hin. Ich wurde fast ohnmächtig vor Hunger, als mir der Duft in die Nase stieg.
    »Ach du liebe Güte«, sagte Tante Glenda. »Du willst wohl, dass deine Tochter ihren Bedarf an Fett und Cholesterin für diesen Monat gleich heute deckt, nicht wahr, Grace?«
    »Ja genau«, sagte Mum gleichmütig.
    »Später wird sie dich dafür hassen, dass du nicht besser auf ihre Figur achtgegeben hast«, sagte Tante Glenda und lächelte wieder.
    »Gwendolyns Figur ist tadellos«, sagte meine Mum. »Noch - vielleicht«, sagte Tante Glenda. Sie lächelte immer noch.
    »Habt ihr Tante Glenda was in den Tee gekippt?«, flüsterte ich Caroline zu.
    »Jemand hat vorhin angerufen und seitdem sind Tante Glenda und Charlotte ganz aufgekratzt«, raunte Caroline zurück. »Wie umgewandelt!«
    In diesem Augenblick landete Xemerius draußen auf der Fensterbank, faltete seine Flügel zusammen und schob sich durch die Glasscheibe.
    »Guten Morgen!«, sagte ich erfreut.
    »Guten Morgen!«, erwiderte Xemerius und hopste von der Fensterbank auf einen leeren Stuhl.
    Während die anderen mich ein wenig erstaunt anschauten, kratzte Xemerius sich am Bauch. »Eine ziemlich große Familie hast du da - ich habe mir noch nicht so ganz einen Überblick verschaffen können, aber es ist mir aufgefallen, dass es auffallend viele Weiber in diesem Haushalt gibt. Zu viele, würde ich mal sagen. Und die Hälfte davon sehen die meiste Zeit aus, als ob sie dringend durchgekitzelt werden müssten.« Er schüttelte die Flügel aus. »Wo sind die Väter zu all den Kinderchen? Und wo sind die Haustiere? So ein riesiges Haus und nicht mal ein Kanarienvogel - ich bin enttäuscht.«
    Ich grinste. »Wo ist Großtante Maddy?«, fragte ich, während ich selig zu essen begann.
    »Ich fürchte, das Schlafbedürfnis meiner lieben Schwägerin ist größer als ihre Neugier«, sagte Lady Arista würdevoll. Kerzengerade saß sie am Frühstückstisch und aß mit abgespreizten Fingern einen halben gebutterten Toast. (Ich hatte meine Großmutter übrigens noch nie anders als kerzengerade erlebt.) »Durch das frühe Aufstehen gestern war sie den ganzen Tag unerträglich schlecht gelaunt. Ich glaube nicht, dass wir sie noch mal vor zehn Uhr morgens zu Gesicht bekommen werden.«
    »Das ist mir nur recht«, sagte Tante Glenda mit ihrer schrillen Stimme. »Ihr Geschwätz von Saphireiern und Turmuhren kann einem wirklich den letzten Nerv rauben. Und - wie fühlst du dich, Gwendolyn? Ich kann mir vorstellen, dass das alles sehr verwirrend für dich ist.«
    »Hm«, machte ich.
    »Es muss furchtbar sein, plötzlich feststellen zu müssen, dass man zu Höherem geboren ist, ohne den Erwartungen genügen zu können.« Tante Glenda spießte ein Stückchen Tomate von ihrem Teller auf.
    »Mr George berichtet, dass Gwendolyn sich bisher sehr gut geschlagen hat«, sagte Lady Arista, und ehe ich mich über ihre Solidaritätsbezeugung freuen konnte, setzte sie hinzu: »Jedenfalls den Umständen entsprechend. Gwendolyn, du wirst heute wieder von der Schule abgeholt und nach Temple gebracht werden. Charlotte wird dich dieses Mal begleiten.« Sie nahm einen Schluck

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