Saphirblau
hättest diese ... hochinteressante Blättersammlung gern zurück«, sagte er spöttisch.
»Ja, danke«, erwiderte Leslie und wurde ein bisschen rot. Bei der
Blättersammlung
handelte es sich um ihren großen Zeitreisephänomen-Erforschungsordner, in dem einfach alles stand, was wir beide (vor allem natürlich Leslie) bisher über die Wächter und den Grafen von Saint Germain herausgefunden hatten. Auf Seite 34, gleich hinter den gesammelten Einträgen zum Thema Telekinese, fand sich auch eine Notiz, die Mr Whitman persönlich betraf.
Eichhörnchen ebenfalls Mitglied der Loge? Ring. Bedeutung?
Wir konnten nur hoffen, dass Mr Whitman speziell diese Notiz nicht auf sich bezogen hatte.
»Leslie, ich sage es nur ungern, aber ich denke, du könntest deine Energie besser in einige Schulfächer investieren.« Mr Whitman hatte ein Lächeln aufgesetzt, aber in seinem Tonfall schwang noch etwas anderes mit als purer Spott. Er senkte seine Stimme. »Nicht alles, was einem interessant erscheint, ist auch gut für einen.«
War das etwa eine Drohung? Leslie nahm den Ordner schweigend entgegen und verstaute ihn in ihrer Schultasche.
Die anderen schauten neugierig zu uns hinüber. Offensichtlich fragten sie sich, wovon Mr Whitman redete. Charlotte saß nahe genug, um ihn zu verstehen, und sie hatte einen unverkennbar schadenfrohen Blick aufgesetzt. Als Mr Whitman sagte: »Und du, Gwendolyn, solltest allmählich begreifen, dass Diskretion eine der Eigenschaften ist, die von dir nicht nur gewünscht, sondern sogar gefordert wird«, nickte sie zustimmend. »Es ist wirklich schade, dass du dich als so
unwürdig
erweist.«
Wie ungerecht! Ich beschloss, Leslies Beispiel zu folgen, und Mr Whitman und ich starrten uns ein paar Sekunden lang stumm an. Dann wurde sein Lächeln breiter und er tätschelte unversehens meine Wange. »Na, aber Kopf hoch! Ich bin sicher, dass du noch eine Menge lernen kannst«, sagte er im Weitergehen. »Und Gordon, wie sieht es aus? Ist dein Aufsatz wieder mal komplett aus dem Internet abgeschrieben?«
»Sie sagen doch immer, wir dürften alle Quellen nutzen, die wir finden«, verteidigte sich Gordon, wobei er es schaffte, seine Stimmhöhe in diesem einen Satz über zwei Oktaven zu variieren.
»Was wollte Whitman von euch?« Cynthia Dale beugte sich zu uns nach hinten. »Was war das für ein Ordner? Und warum hat er dich
gestreichelt,
Gwendolyn?«
»Kein Grund zu Eifersucht, Cyn«, sagte Leslie. »Er hat uns kein Stück lieber als dich.«
»Ach«, sagte Cynthia. »Ich bin gar nicht eifersüchtig. Ich meine,
hallo?
Warum denken immer alle, ich sei in den Mann verliebt?«
»Vielleicht weil du die Vorsitzende des William-Whitman-Fanclubs bist?«, schlug ich vor.
»Oder weil du zwanzigmal
Cynthia Whitman
auf einen Zettel geschrieben hast, mit der Begründung, du wolltest wissen, wie sich das anfühlt?«, sagte Leslie.
»Oder weil du . . .«
»Schon gut«, zischte Cynthia. »Das war einmal. Das ist längst vorbei.«
»Das war vorgestern«, sagte Leslie.
»Mittlerweile bin ich reifer und erwachsener geworden.« Cynthia seufzte und sah sich in der Klasse um. »Daran sind nur alle diese
Kindsköpfe
schuld. Hätten wir halbwegs vernünftige Jungs in der Klasse, brauchte sich niemand in einen Lehrer vergucken. Apropos. Was ist jetzt eigentlich mit diesem Typen, der dich gestern in der Limousine abgeholt hat, Gwenny? Läuft da was zwischen euch?«
Charlotte ließ ein amüsiertes Schnauben hören und hatte damit sogleich wieder Cynthias Aufmerksamkeit. »Jetzt mach es doch nicht immer so spannend, Charlotte. Hat eine von euch beiden was mit dem?«
Mr Whitman hatte sich inzwischen hinter sein Pult postiert und forderte uns auf, uns mit Shakespeare und seinen Sonetten zu beschäftigen.
Ausnahmsweise war ich ihm ganz dankbar dafür. Besser Shakespeare als Gideon! Das Geschwätz ringsherum verstummte und machte Seufzern und Papiergeraschel Platz. Ich bekam aber noch mit, dass Charlotte sagte: »Also Gwenny ganz sicher nicht.«
Leslie sah mich mitleidig an. »Sie hat ja keine Ahnung«, flüsterte sie. »Eigentlich kann sie einem nur leidtun.«
»Ja«, flüsterte ich zurück, aber in Wirklichkeit hatte ich nur Mitleid mit mir selbst. Der Nachmittag in Charlottes Gesellschaft würde bestimmt ein riesengroßes Vergnügen werden.
Die Limousine wartete nach Schulschluss diesmal nicht direkt vor dem Tor auf uns, sondern diskret ein Stück weit die Straße hinunter. Der rothaarige Mr Marley ging davor nervös auf
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