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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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dem Fenster des Drachensaals, in vollkommen durchnässten Kostümen des 17. Jahrhunderts. Sie machten einen recht verstörten Eindruck auf mich und redeten wirres Zeug, daher verständigte ich gegen ihren Willen Lord Montrose und Falk de Villiers. Die Geschichte ließ sich aber ganz einfach aufklären. Lord Montrose erinnerte sich noch genau an das Kostümfest, das man im Jahr 1948 im Garten feierte und in dessen Verlauf einige Gäste, darunter auch Lucy und Paul, nach dem Genuss von zu viel Alkohol im Goldfischbecken landeten. Lord Lucas übernahm die Verantwortung für diesen Vorfall und versprach, die beiden ruinierten Exemplare der Kosen »Ferdinand Picard« und »Mrs John Laing« zu ersetzen.
    Lucy und Paul wurden strengstens ermahnt, sich künftig, egal in welcher Zeit, von Alkohol fernzuhalten.
     
    Bericht, J. Mountjoy, Adept 2. Grades
     
     

1
    Herrschaften, das ist eine Kirche! Hier küsst man sich nicht!«
    Erschrocken riss ich meine Augen auf und fuhr hastig zurück, in Erwartung, einen altmodischen Pfarrer mit wehender Soutane und empörter Miene auf mich zueilen zu sehen, bereit, eine Strafpredigt auf uns niederdonnern zu lassen. Aber es war nicht der Pfarrer, der unseren Kuss gestört hatte. Es war überhaupt kein Mensch. Es war ein kleiner Wasserspeier, der auf der Kirchenbank direkt neben dem Beichtstuhl hockte und mich genauso verblüfft anschaute wie ich ihn.
    Wobei das eigentlich schwer möglich war. Denn meinen Zustand konnte man im Grund genommen nicht mehr mit Verblüffung umschreiben. Um ehrlich zu sein, hatte ich eher so etwas wie gewaltige denktechnische Aussetzer.
    Angefangen hatte alles mit diesem Kuss.
    Gideon de Villiers hatte mich - Gwendolyn Shepherd - geküsst.
    Natürlich hätte ich mich fragen müssen, warum er so plötzlich auf die Idee gekommen war - in einem Beichtstuhl in einer Kirche irgendwo in Belgravia im Jahr 1912 - kurz nachdem wir eine atemberaubende Flucht mit allen Schikanen hingelegt hatten, bei der nicht nur mein knöchellanges, enges Kleid mit dem lächerlichen Matrosenkragen hinderlich gewesen war.
    Ich hätte analytische Vergleiche anstellen können zu den Küssen, die ich von anderen Jungs bekommen hatte, und woran es lag, dass Gideon so viel besser küssen konnte.
    Mir hätte auch zu denken geben können, dass eine Wand mit einem Beichtstuhlfenster zwischen uns war, durch das Gideon seinen Kopf und seine Arme gezwängt hatte, und dass das keine idealen Bedingungen für einen Kuss waren, mal ganz abgesehen von dem Fakt, dass ich nicht noch mehr Chaos in meinem Leben brauchen konnte, nachdem ich gerade erst vor drei Tagen erfahren hatte, dass ich das Zeitreise-Gen von meiner Familie geerbt hatte.
    Tatsache allerdings war, dass ich überhaupt nichts dachte, außer vielleicht
Oh
und
Hmtnmm
und
Mehr!
    Deswegen bekam ich auch das Ziehen im Bauch nicht richtig mit, und erst jetzt, als dieser kleine Wasserspeier nun seine Arme verschränkte und mich von seiner Kirchenbank anfunkelte, erst, als mein Blick auf den kackbraunen Vorhang des Beichtstuhls fiel, der eben noch samtgrün gewesen war, schwante mir, dass wir in der Zwischenzeit zurück in die Gegenwart gesprungen waren.
    »Mist!« Gideon zog sich auf seine Seite vom Beichtstuhl zurück und rieb sich den Hinterkopf.
    Mist?
Ich plumpste unsanft von meiner Wolke sieben und vergaß den Wasserspeier.
    »So schlecht fand ich es nun auch wieder nicht«, sagte ich, um einen möglichst lässigen Tonfall bemüht. Leider war ich etwas außer Atem, was den Gesamteindruck schmälerte. Ich konnte Gideon nicht in die Augen sehen, stattdessen starrte ich noch immer auf den braunen Polyestervorhang des Beichtstuhls.
    Gott! Ich war beinahe hundert Jahre durch die Zeit gereist, ohne etwas zu merken, weil dieser Kuss mich so vollkommen und ganz und gar . . . überrascht hatte. Ich meine, in der einen Minute meckert der Typ an einem herum, in der nächsten befindet man sich mitten in einer Verfolgungsjagd und muss sich vor Männern mit Pistolen in Sicherheit bringen, und plötzlich - wie aus dem Nichts - behauptet er, man sei etwas ganz Besonderes, und küsst einen. Und wie Gideon küsste! Ich wurde sofort eifersüchtig auf alle Mädchen, bei denen er das gelernt hatte.
    »Niemand zu sehen.« Gideon lugte aus dem Beichtstuhl und trat dann hinaus in die Kirche. »Gut. Wir nehmen den Bus zurück nach Temple. Komm, sie werden uns schon erwarten.«
    Ich starrte ihn fassungslos durch den Vorhang an. Hieß das etwa jetzt, dass er wieder zur

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