Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
kommen.“
„Sein Diener hat uns gesehen.“
„Ich werde sagen, dass ihr euch nicht mit in die Berge getraut habt.“
Die Worte fliegen umher wie spitze Pfeile. Unbewusst habe ich mich ein wenig zurückgezogen und betrachte unruhig das Lith. Es begegnet meinem Blick mit einer Ruhe, um die ich es bewundere. Seine acht klauenbewährten Beine stemmen den langgezogenen Körper ohne sichtbare Anstrengung. Die dunkelgrünen Schuppen glänzen in dem matten Licht, das durch die schwarzen Wolken fällt. Auf eine skurrile Art scheint das echsenähnliche Wesen genau hierher zu passen. Es neigt seinen mächtigen Kopf und schnüffelt am Boden herum. Seine Zunge schnellt hervor und leckt über den Stein.
Ich weiche erschrocken zurück und stolpere direkt in Edans Arme. Er hält mich lächelnd fest.
„Können wir los?“
Ohne meine Antwort abzuwarten schwingt er sich auf das Lith. Wir anderen folgen ihm. Es herrscht betretenes Schweigen. Jeder hängt seinen Gedanken nach bis Edan das Lith schließlich zügelt. Mein Herz verkrampft sich schmerzhaft vor Angst. Ich versuche, tief einzuatmen, aber meine Brust ist wie zugeschnürt.
Enya legt mir eine kühle Hand auf meine erhitzte Wange.
„Komm heil zurück.“
Sofort schießen mir Tränen in die Augen und ich drücke sie fest an mich.
„Passt ebenfalls auf euch auf“, flüstere ich in ihr Kristallohr. Anschließend drücke ich Cedric, welcher mich einige Augenblicke länger als nötig festhält.
Erst als ich von unserem Reittier steige betrachte ich die Umgebung genauer. Vor uns erstreckt sich eine ansteigende Ebene aus schwarzem Gestein.
Edan geht voraus und ich folge ihm zögerlich. Direkt neben mir schießt eine Dampfwolke aus dem Boden und ich schreie erschrocken auf. Die heißen Wassertropfen lösen sich schnell auf und lassen mich nach Atem ringend zurück.
Zittrig stolpere ich weiter. Der nächste Abschnitt ist steiler, aber sobald Edan mich über eine Kante gezogen hat, erstreckt sich vor uns ein flaches Plateau. Hier wirft der Fels nicht die Falten, die ich sonst überall gesehen habe. Nur einige schwarze Brocken liegen herum und stören das Gesamtbild.
Auf der anderen Seite kann ich in die Tiefe blicken. Außer schwarzen Gipfeln und dunklem Rauch sehe ich nichts.
„Und jetzt?“
„Jetzt warten wir.“
Demonstrativ lässt Edan sich auf den Boden fallen und ich setze mich neben ihn. Wir reden kein Wort. Eisiger Wind umweht uns, sonst ist es still. Als meine Finger schon taub sind, wage ich es, zu sprechen:
„Wann kommt er?“
In diesem Moment erscheint am anderen Ende des Randes eine schwarzgewandete Gestalt. Sie kommt mit schnellem Schritt näher. Der Halbdämon neben mir springt auf, ich hingegen erhebe mich schwerfällig. Vom Warten schmerzen meine Glieder und die Kälte hat sie steif gemacht.
„Na endlich“, ruft Deargh uns gelassen zu, „ich dachte schon, ihr würdet nie kommen.“
„Natürlich sind wir da“, knurrt Edan.
„Ach... Deine Schwester hast du auch mitgebracht. Wie schön. Aber warum warten sie denn unten?“
Die schwarze Gestalt hebt ihren Arm und deutet hinab zu Cedric und Enya.
„Sch... Schwester?“, stottere ich und komme mir unsagbar dämlich vor. Edan atmet geräuschvoll aus.
„Aber natürlich. Oder warum sollte sonst gerade sie von Niall auf die Reise geschickt worden sein? Bestimmt hat der alte Narr gehofft, dass sie dich trifft. Vor allem, nachdem er vom Tod seiner geliebten Alriel erfahren hat.“
Er kommt auf mich zu und bleibt dicht vor mir stehen. Edan steht mit gezücktem Dolch und angespannten Muskeln neben mir. Widerlicher Atem schlägt mir ins Gesicht.
„Deine Mutter war wirklich eine unglaubliche Frau. Ihr Ableben war eine unnötige Tragödie, die ich gerne verhindert hätte. Immerhin hätte sie mir sehr nützlich sein können. Nun, es lässt sich wohl nicht mehr ändern, aber bei ihrer Tochter werde ich besser aufpassen.“
Ein lautes Schnauben ertönt aus der Dunkelheit der Kapuze.
„Du riechst sogar wie sie.“
Aus all den Worten kann mein Verstand drei Worte filtern: Alriel. Mutter. Schwester.
Ich schlucke und Tränen schießen mir in die Augen. Alriel soll meine Mutter gewesen sein? Die gutherzige Dorfälteste? Deshalb war sie stets so freundlich zu mir gewesen. Das hatte die Liebe in ihren Augen bedeutet. Ihre Fürsorge und ihr Mitgefühl waren real gewesen. Am Rand meines Bewusstseins blitzt eine Erkenntnis auf. Meine Eltern sind nicht meine Eltern. Sie sind es niemals gewesen.
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