Saphirtraenen (Gesamtausgabe)
Merkwürdigerweise erleichtert mich das, denn es bedeutet, dass meine Mutter nie fremdgegangen ist. Für einen kurzen Augenblick sehe ich das lächelnde Gesicht der Ilyea vor mir, die ich immer als Mama angesprochen habe. Mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich liebe sie.
Meine Gedanken rasen. Schwester.
Enya soll meine Schwester sein? Aber sie ist eine reinrassige Meer-Ilyea. Stammelnd bringe ich dieses Argument hervor.
„Oh... Definieren wir es genauer: Sie ist deine Halbschwester. Niall konnte sich einfach nicht zusammenreißen.“
Das Blut rauscht unangenehm laut in meinen Ohren und die schwarzen Felswände vor mir verschwimmen in bunten Farben. Alriel meine Mutter und Enya meine Schwester. Durch den Farbenwirbel erkenne ich, wie Deargh zurück weicht. Mit einer einfachen Handbewegung entfacht er rund um sich einen Feuerkreis.
Das Licht der Flammen schmerzt in meinen Augen. Schwester. Sie lebt. Noch. Plötzlich sehe ich Enya mit anderen Augen. Mir wird klar, warum ich dieses unbestimmte Vertrauensgefühl ihr gegenüber hatte und weshalb sie mich manchmal so ansah. Vielleicht weiß sie es nicht einmal. Möglicherweise ahnt sie nichts von unserer Verwandtschaft. Aber möchte ich es ihr wirklich sagen? Immerhin bedeutet das auch, dass ihr Vater ihre Mutter betrogen hat. Mit meiner Mutter. Alriel.
Mir schwirrt der Kopf von so vielen neuen Informationen. Edans Hand legt sich um mich. Ich drücke mich eng an ihn.
„Beruhige dich. Alles wird gut“, flüstert er mir zu und fährt dann lauter fort:
„Gib uns die Kette.“
Als Antwort lacht Deargh und die Flammen lodern höher. Er greift unter den schwarzen Mantel und hebt spöttisch eine goldene Kette empor. Das edle Metall windet sich in unzähligen kleinen Spiralen um einen funkelnden Rubin.
„Verblüffend, dass ich es wirklich bei mir trage, nicht wahr, Niamh? Aber wie könnte ich anders. Jetzt, da ihr mir alle Schmuckstücke gebracht habt.“
Das Feuer färbt sich leuchtend blau.
„Und das Kind hast du mir auch mitgebracht. Sehr schön.“
„Du irrst dich.“
Edan klingt gelassen und keineswegs eingeschüchtert.
„Die Pläne haben sich geändert. Ich werde nicht zulassen, dass du meinem Kind etwas antust.“
Mit einer geschickten Bewegung zieht Edan seinen Dolch.
„Nettes Schauspiel. Aber spar es dir. Du musst ihr nichts mehr vorspielen.“
Ich zittere und sehe Edan mit großen Augen an.
„Er hat es dir also nie erzählt?“, schnarrt Deargh und sein hohles Lachen durchdringt jede Faser meines Körpers. Ich starre in den dunklen Ausschnitt seiner Kapuze und bin unfähig zu antworten.
„Halt dein widerliches Maul!“, befiehlt Edan harsch. Sein Gesicht ist wutverzerrt. Ich blicke zwischen den beiden hin und her, eine Hand habe ich schützend auf meinen Bauch gelegt.
„Was ... hat das zu bedeuten?“
Meine Stimme klingt im Vergleich zu den beiden Dämonen dünn und unwirklich.
„Ich bin sein Vater.“
Edan stößt einen wilden Schrei aus und hebt seinen Dolch nach oben. Die Schneide glänzt im Schein des Feuers, das Deargh umgibt. Mir wird kurz schwarz vor Augen.
„Dein Vater?“
Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, gilt merkwürdigerweise meinem Kind. Solch einen Großvater möchte ich ihm nicht vorstellen. Erst als die Information tiefer zu mir vorgedrungen ist begreife ich das Ausmaß. Mit voller Wucht stoße ich den Halbdämon von mir, sodass er hart auf dem Boden landet.
Flehend hebt er die Hand.
„Niamh... Du verstehst nicht!“
In meinem Kopf fügen sich die unzähligen Teile zu einem Ganzen zusammen.
„Deswegen gelang uns die Flucht so leicht. Es war alles abgesprochen! Geplant! Du hattest nie Gefühle für mich.“
Ich spüre, wie Tränen über mein Gesicht rinnen, aber es ist mir egal. Etwas in mir, was ich schon lange für zerbrochen hielt, zerspringt erst jetzt endgültig. Die Hoffnung, dass Edan trotz seines Blutes im Innersten gut ist. Ihre Bruchstücke graben sich tief in mein Fleisch und schütteln meinen Körper. Immer schneller dreht sich die Welt um mich.
„So hör mir doch zu!“
Ich weiß nicht, wann Edan aufgestanden und vor mich getreten ist. Jetzt hat er mich an den Schultern gefasst und schüttelt mich leicht. Mein Atem geht stoßweise.
„Nein“, hauche ich, „nein.“
Es knallt. Ich erblasse und betrachte den Handabdruck, der sich rot auf Edans weißer Haut abzeichnet. Meine Hand.
In seine goldenen Augen tritt ein Ausdruck des Bedauerns, dennoch hält er mich weiterhin
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