Saphirtränen: Teil 1 - Niamhs Reise (German Edition)
entfalten.
Ein ironisches Lächeln umspielt meine Lippen. Niemals werden sich meine Kräfte entfalten. Sie sind nicht einmal vorhanden. Andere in meinem Alter sprechen von dem sanften Flüstern der Bäume und den Geistern des Waldes. Mir haben sich diese Wesen noch nicht offenbart. Gerade als sich der Gedanke in meinem Kopf formt, höre ich ein leises Flüstern. Ein kurzer Moment nur, in dem die sanfte Stimme an meine Ohren dringt und mich erschauern lässt.
"Niamh."
Blitzschnell drehe ich mich um und erwarte schon fast, einen Baumgeist zwischen den Büschen zu sehen. Doch nichts. Ich fasse mir verwirrt an den Kopf und streiche durch meine moosgrünen Haare.
"Du wirst doch jetzt nicht anfangen, an diesen Unsinn zu glauben. Tzzzzzz. Baumgeister", flüstere ich nervös vor mich hin und fange langsam an, loszulaufen. Zurück nach Cad'e. Meine Schritte scheuchen ein Kaninchen auf, das sich unweit vom Weg versteckt gehalten hat. Sein über den Pfad huschender Schatten versetzt mir einen Schock und ich stolpere zurück.
"Mistvieh."
Nein, mit der Natur kann ich wahrlich nicht ins Reine kommen. Ich akzeptiere sie und bin ihr dankbar für all das, was sie meinem Volk und mir schenkt. Doch ich sehe in ihr nicht die allwissende Mutter, jenes Wesen, welches angeblich in jedem Tier und jeder Pflanze des Waldes stecken soll und das wir Ilyea verehren.
Als ich im Dorf ankomme, betrachte ich die kunstvoll geschwungenen Treppen, die sich an den Stämmen der Bäume emporwinden. In den Baumkronen thronen unsere Häuser, für jene kaum vom restlichen Wald unterscheidbar, die nicht unserem Volk angehören.
Tief in meinem Herzen bin ich der Meinung, dass es irgendeinen Trick gibt. Technisches Wissen, welches es den erwachsenen Ilyea möglich macht, die Pflanzen nach ihrem Willen zu formen, damit unsere Wohnungen sich perfekt in ihrer Umgebung tarnen.
Somit bin ich wohl das einzige Ilyeakind, welches nicht an Geister und Magie glaubt. Und ich bin der festen Überzeugung, dass ich heute Abend bei der Mitternachtswende eingeweiht werde.
"Dann werde ich diejenige sein, die über den Aberglauben der anderen lacht", murmele ich selbstzufrieden, als ich die Stufen zu meinem Haus erklimme.
Während ich den Vorhang aus grünen Lianen beiseiteschiebe, fällt mein Blick sofort auf eine braune, schmucklose Kiste, die auf dem Boden steht.
Als junge Ilyea schon ein eigenes Haus zu haben ist nicht gerade gewöhnlich. Vermutlich wollten mich meine Eltern einfach nur loswerden, da ich eine Familienschande darstellte.
"Darstelle", korrigiere ich mich in Gedanken und lasse den Vorhang wieder vor die Tür gleiten.
Achtsam bewege ich mich auf die am bodenliegende Schachtel zu und fahre mit den Fingern über die glatte, braune Oberfläche. Ich weiß genau, was sich in ihr befindet. Und es gefällt mir gar nicht. Mit geschickten Griffen löse ich die Schlingen, die um das braune Holz geschlungen sind, und hebe schließlich den Deckel ab.
Wie befürchtet glänzt mir ein leuchtendes, dunkelgrünes Kleid entgegen. Es ist aufwendig mit Waldblumen verziert, welche für immer blühen werden.
"Noch ein Trick", schießt es mir durch den Kopf, während ich es behutsam heraushole. Der Stoff ist weich und fließend, im Gegensatz zu dem Kleid, das ich jetzt trage. Vorsichtig betaste ich den Stoff und kann sogar noch wenige Pflanzenfasern ertasten.
"Wenigstens dieser ilyeaische Sinn ist bei mir voll ausgeprägt", seufze ich zufrieden.
Trotz der wenigen Unebenheiten ist das Kleidungsstück sehr gut und fein gearbeitet. Mit Sicherheit hat es meine Mutter eine halbe Ewigkeit gekostet, dieses Kleid herzustellen.
"Also werde ich heute Abend wohl wirklich dankbar sein müssen."
Der Gedanke gefällt mir nicht, dennoch streife ich mein altes Kleid ab und ziehe das Neue über. Sanft umhüllt mich der grüne Stoff und gibt mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Doch nicht im negativen Sinne, wie es sonst der Fall ist. Ich fühle mich wunderbar, einzigartig und endlich erwachsen.
Zufrieden betrachte ich mich in der klaren Wasseroberfläche, die eine Seite meiner Schlafkammer bedeckt. Meine Eltern behaupten immer, dass sie mit Magie an der Wand gehalten wird, doch ich bin mir sicher, dass ein technisches Geheimnis dahinter steckt, denn Magie existiert in meiner Welt nicht.
Die Blätter und Moose, welche den Boden bedecken, um mir eine angenehmen Schlafstätte zu bereiten, fühlen sich wohltuend kühl unter meinen Füßen an.
Mit geschmeidigen Bewegungen betrachte ich mich in dem
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