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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zweierlei: Was sie sagen wollte, und daß sie es nicht sagen würde. Ich habe gestern nacht von Ihnen geträumt. Von uns beiden. Wir wollten miteinander schlafen, und einer von uns sagte: ›Mach was du willst.‹ Vielleicht, ich weiß nicht, vielleicht haben wir es auch beide gesagt.

    Vielleicht waren Gespenster manchmal am Leben - vom Körper losgelöste Seelen und Begierden, entfesselte, unsichtbar schwebende Impulse. Gespenster des Unterbewußtseins, Spukgestalten von tief unten.
    »Mattie? Sind Sie noch da?«
    »Klar, logisch. Möchten Sie, daß ich mich wieder bei Ihnen melde? Oder werden Sie alles Nötige von Mr. Storrow erfahren?«
    »Wenn Sie sich nicht wieder bei mir melden, bin ich sauer auf Sie. Stinksauer.«
    Sie lachte. »Dann tu ich’s auch. Aber nicht, wenn Sie arbeiten. Auf bald, Mike. Und nochmals danke. Von ganzem Herzen.«
    Ich sagte auf Wiedersehen und betrachtete einen Moment den Hörer des altmodischen Bakelittelefons, nachdem sie aufgelegt hatte. Sie würde anrufen und mich auf dem laufenden halten, aber nicht, wenn ich arbeitete. Woher wollte sie wissen, wann das war? Sie würde es eben wissen. So wie ich gestern abend gewußt hatte, daß sie log, als sie sagte, daß Jo und der Mann mit den Ellbogenflicken an den Ärmeln seiner Sportjacke zum Parkplatz gegangen seien. Mattie hatte ein Paar weiße Shorts und ein Oberteil getragen, als sie mich angerufen hatte; heute waren kein Kleid oder Rock nötig, weil Mittwoch war und die Bibliothek mittwochs geschlossen hatte.
    Das kannst du nicht wissen. Du denkst es dir einfach aus.
    Aber das stimmte nicht. Wenn ich es mir ausgedacht hätte, dann hätte ich ihr etwas Verwegeneres angezogen, eine lustige Witwe in Reizwäsche von Victoria’s Secret vielleicht.
    Dieser Gedanke führte zu einem anderen. Mach was du willst , hatten sie gesagt. Beide. Mach was du willst . Und das war eine Zeile, die ich kannte. Auf Key Largo hatte ich im Atlantic Monthly einen Essay über Pornographie von einer Feministin gelesen. Ich wußte nicht mehr, von welcher, aber es war weder Naomi Wolf noch Camille Paglia gewesen. Diese Frau war vom konservativen Schlag gewesen, und sie hatte diesen Satz benutzt. Vielleicht Sally Tisdale? Oder hörte ich im Geiste nur das verzerrte Echo von Sara Tidwell? Wie auch immer, sie hatte behauptet, daß ›mach was ich will‹ die Grundlage einer Erotik war, die Frauen ansprach, und ›mach was du willst‹
die Grundlage von Pornographie war, die Männer ansprach. Frauen stellen sich vor, daß sie in sexuellen Situationen den ersten Satz sprechen; Männer stellen sich vor, daß der zweite Satz zu ihnen gesprochen wird. Und, fuhr die Autorin fort, wenn Sex in der Wirklichkeit schiefgeht - wenn er manchmal brutal wird, manchmal beschämend und manchmal einfach nur erfolglos aus Sicht der Frau - ist Pornographie häufig nicht angeklagter Mittäter. Der Mann etwa geht wütend auf die Frau los, schreit sie an: »Du wolltest es doch! Hör auf zu lügen und gib’s zu! Du wolltest es doch!«
    Die Autorin behauptete, daß jeder Mann im Schlafzimmer genau das hören wolle: Mach was du willst. Beiß mich, nimm mich von hinten, leck zwischen meinen Zehen, trink Wein aus meinem Bauchnabel, gib mir eine Bürste und heb den Arsch hoch, damit ich ihn streicheln kann, ganz egal. Mach was du willst. Die Tür ist geschlossen, und wir sind hier, aber in Wahrheit bist nur du hier, ich bin lediglich die willige Verlängerung deiner Fantasie, und nur du bist hier. Ich habe keine eigenen Wünsche, keine eigenen Bedürfnisse, keine Tabus. Mach was du willst mit diesem Schatten, dieser Fantasie, diesem Geist.
    Ich war der Meinung, daß die Verfasserin des Artikels zu mindestens fünfzig Prozent Quatsch verzapft hatte; die Unterstellung, daß ein Mann nur dann wahre sexuelle Befriedigung finden kann, wenn er die Frau in eine Art Wichshilfe verwandelt, sagt mehr über die Beobachterin als über die Beteiligten. Diese Dame hatte den richtigen Jargon drauf und war einigermaßen geistreich, aber im Grunde genommen sagte sie nur, was Somerset Maugham, Jos alter Lieblingsschriftsteller, seine Sadie Thompson in ›Regen‹ sagen ließ, einer Erzählung, die vor achtzig Jahren geschrieben worden war: Männer sind Schweine, egoistische Schweine, allesamt. Aber wir sind nicht zwangsläufig Schweine, jedenfalls nicht, wenn wir nicht bis zum Äußersten getrieben werden. Und wenn wir dazu getrieben werden, geht es selten um Sex; normalerweise geht es um das Revier. Ich habe

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