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Sara

Sara

Titel: Sara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schien, als wäre halb Castle Rock im Stadtpark versammelt, während der schwüle Nachmittag in den Abend überging. Dunstiges Mittsommerlicht erfüllte strahlend die Luft, und in seinem Glanz erstürmten Kinder die Spielgeräte, spielten ein paar alte Männer in hellroten Westen - eine Art Club, vermutete ich - Schach, und eine Gruppe junger Leute lagen im Gras und hörten einem Teenager mit Paisleystirnband zu, der Gitarre spielte und einen Song sang, an den ich mich von einer alten Platte von Ian und Sylvia erinnerte, eine fröhliche Melodie zu dem Text:
    ›Ella Speed was havin her lovin fun,
John Martin shot Ella with a Colt forty-one …‹
    Ich sah keine Jogger und keine Hunde, die Frisbees jagten. Es war einfach zu gottverdammt heiß.
    Ich drehte mich um und sah zum Musikpavillon, wo eine Acht-Mann-Combo namens The Castle Rockers gerade aufbaute (ich hatte das Gefühl, als ob ›In the Mood‹ so ziemlich das rockigste sein würde, das sie zustande brachten), als eine kleine Person von hinten gegen mich stieß, mich dicht oberhalb der Knie packte und beinahe zu Fall brachte.
    »Hab’ dich!« schrie die kleine Person fröhlich.
    »Kyra Devore!« rief Mattie, die sich amüsiert und gereizt zugleich anhörte. »Du wirfst ihn noch um!«
    Ich drehte mich um, ließ die fettfleckige McDonald’s-Tüte fallen, die ich bei mir hatte, und hob das Kind hoch. Es kam mir natürlich und wunderbar vor. Man weiß nicht, wieviel ein gesundes Kind wiegt, bevor man eins auf dem Arm gehabt hat, und man versteht auch erst dann völlig das Leben, das wie ein glühender Draht durch Kinder verläuft. Ich bekam keinen Kloß im Hals (»Werd mir bloß nicht kitschig, Mike«,
hatte Siddy manchmal geflüstert, wenn wir als Kinder im Kino waren und ich bei einer traurigen Stelle feuchte Augen bekam), aber ich dachte an Jo, ja. Und an das Kind, das sie unter dem Herzen getragen hatte, als sie auf diesem blöden Parkplatz zusammengebrochen war, ja, auch daran.
    Ki kreischte vor Lachen, sie hatte die Arme ausgebreitet und das Haar in zwei lustigen Zotteln herabhängen, die von Raggedy-Ann- und Andy-Haarspangen betont wurden.
    »Nicht deinen eigenen Quarterback attackieren!« rief ich grinsend, und zu meinem Entzücken rief sie unverzüglich zurück: »Nicht deinen eignen Quartermack attagieren! Nicht deinen eignen Quartermack attagieren!«
    Ich stellte sie auf die Füße, während wir beide lachten. Ki wich einen Schritt zurück, stolperte selbst und plumpste lauter denn je lachend ins Gras. Da hatte ich einen gemeinen Gedanken, kurz, aber ach so deutlich: Wenn der alte Knacker nur sehen könnte, wie sehr er vermißt wurde! Wie traurig wir über sein Dahinscheiden waren.
    Mattie kam herüber, und heute sah sie aus, wie ich sie mir bei unserer ersten Begegnung halb vorgestellt hatte - wie eines dieser hübschen privilegierten Kinder, die man im Country Club sieht, wo sie entweder mit ihren Freunden herumalbern oder ernst mit ihren Eltern beim Essen sitzen. Sie trug ein weißes ärmelloses Kleid und Schuhe mit flachen Absätzen, ihr Haar fiel ihr offen über die Schultern, und sie hatte einen Hauch Lippenstift auf dem Mund. In ihren Augen stand ein Leuchten, das ich vorher nicht gesehen hatte. Als sie mich umarmte, konnte ich ihr Parfum und den Druck ihrer festen kleinen Brüste spüren.
    Ich küßte sie auf die Wange; sie küßte mich hoch oben neben dem Ohr und machte dabei einen Schmatz, den ich die ganze Wirbelsäule hinunter spüren konnte. »Sagen Sie, daß jetzt alles besser wird«, flüsterte sie, ohne mich loszulassen.
    »Viel besser«, sagte ich, und sie umarmte mich wieder, fest. Dann wich sie zurück. »Hoffentlich haben Sie jede Menge Futter mitgebracht, großer Junge, weil wir ziemlich hungrige Weiber sind. Richtig, Kyra?«

    »Ich hab’ meinen eignen Quartermack attagiert«, sagte Ki, lehnte sich auf die Ellbogen zurück und kicherte bezaubernd zum hellen und dunstigen Himmel hinauf.
    »Komm mit«, sagte ich und packte sie um die Mitte. Auf diese Weise schleppte ich Ki zum nächsten Picknicktisch, während sie mit den Beinen strampelte, mit den Armen ruderte und lachte. Ich setzte sie auf die Bank; sie glitt herunter und unter den Tisch, geschmeidig wie ein Aal und immer noch lachend.
    »Alles klar, Kyra Elizabeth«, sagte Mattie. »Setz dich hin und zeig die andere Seite.«
    »Braves Mädchen, braves Mädchen«, sagte sie und kletterte neben mich. »Das ist meine andere Seite, Mike.«
    »Da bin ich ganz sicher«, sagte ich.

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